Mein Name ist Lukas Robert, ich bin ‚Leiter Verlagswesen & Digitales‘ von BIG und besuche für Euch die Hallen und Klubs dieser Republik. Mal größere, meist kleinere. ‚BIG-Besuch‘ ist ein Reiseblog mit Eindrücken und Einblicken aus dem deutschen Basketball-Kosmos. Ein Mix aus Korbball-Liebe und Reportage, aus Groundhopping und Kolumne.
Den Eröffnungsspielen der KIA Metropol Arena in Nürnberg und des SNP Domes in Heidelberg habe ich in den vergangenen Wochen schon beigewohnt, erstmals für BIG im arbeitsbedingten Einsatz war ich beim Duell zwischen Ludwigsburg und Berlin in der MHPArena ebenfalls. ‚BIG-Besuch‘ beginnt aber nicht in den großen Hallen dieser Republik, des mit 208.433 spielenden Mitgliedern starken Basketball-Landes, sondern inmitten von Sachsen-Anhalt. Eher am Rande als im Zentrum des Scheinwerferlichts. Warum? Vor allem deshalb, weil BIG Basketball in Deutschland, weil BIG ganzheitlich ist. Wir beschäftigen uns mit dem professionellen Basketball in Deutschland, aber auch mit deutschen Basketballer:innen im Ausland sowie mit den Amateuren. Die Regionalliga und alle darunter rangierenden Ligen kam(en) in unserem Magazin, unter anderem aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie, zuletzt seltener vor. Wir möchten sie zukünftig wieder mehr in den Fokus nehmen. A ist dahingehen ein guter Anfang. A wie Aschersleben.
Titelbild: Der Ort des Geschehens von BIG-Besuch, Ausgabe 1: Das Ballhaus Aschersleben. Foto: Franka Schulmann.
Die Fahrt in die älteste Stadt von Sachsen-Anhalt gestaltet sich als einfach. Anders als aus der schwäbischen Heimat sind es aus dem Redaktionsbüro aus Berlin nur drei Stunden Anfahrt. Zumindest mit dem Zug. Berlin Hbf. – Aschersleben, einmal umsteigen in Halle, keine Verspätungen. 24,95 Euro. Läuft. Sehenswert geht es vorbei an Ortschaften und Städten, die mir namentlich nicht bekannt und optisch wenig (wieder)erkennbar sind. Das Ziel der Reise: Aschersleben, Seegraben 7-8. Hier steht das Ballhaus. Heimat der Tigers, die sich, laut eigener Website, kurzfristig in der 1. Regionalliga zwischen den Tabellenplätzen eins bis fünf und mittelfristig in der ProB sehen. Also: Ein Klub im Aufstreben mit Menschen, die sich hohe Ziele setzen. Das gefällt, mir allemal. Apropos Ziel: Während ich in Berlin per pedes zum Bahnhof gelangt bin, wartet am Ascherslebener Bahnhof schon Franka Schulmann. Pressesprecherin und Spieltagsorganisatorin des Klubs und in äußerst angenehmer Weise um das Wohl des Gastes bemüht. Mit ihr und den bereits auf dem Rücksitz etwas eingepferchten Chris Kwilu (1,97 Meter) und Leo Alban (1,98 Meter) geht’s im Toyota Aygo weiter entlang der Bahnstrecke und alt-ehrwürdigen Gebäuden in Windeseile zur Halle. Sind aber auch nur 800 Meter. Das Ballhaus Aschersleben liegt, infrastrukturell sinnhaft, direkt zwischen zwei Supermärkten. Heißt: Parkplatz- und Nahrungsaufnahmeprobleme gibt es keine.
Stage is set
Auch generell scheint die Basis hier im Dreieck zwischen Magdeburg, Halle und Braunschweig gut zu sein. In der Regionalliga gilt, wie in den vergangenen zwei Jahren für mich überall: Safety first. Maskenempfehlung, 3G, Abstand – wenn möglich. Dank FFP2-Maske und digitalem Impfnachweis geht’s in kürzester Zeit rein in die Arena. Rein in den Spieltag.
Große Halle, noch größere Bühne? Das Ballhaus Aschersleben wäre infrastrukturell bereit für ProB-Basketball.
Das Top-Duell gegen Cuxhaven steht an. Die Sachsen-Anhaltiner sind Dritter, die Jungs von der Elbmündung Sechster – damit aber nur bedingt zufrieden: Sie haben in der vergangenen Woche ihre Headcoach gewechselt. Spannung scheint garantiert und rund 500 Zuschauer werden zwei Stunden das Top-Spiel verfolgen.
Im Einlassbereich riecht es kurz nach Chlor aus dem angrenzenden Schwimmbad, hinter einem Bauzaun und einem improvisierten Stehtisch für eine kleine Pressekonferenz eröffnet sich dann der Blick in das weite Rund des bis zu 2.000 Zuschauer fassenden Ballhauses. Weit vor Hallenöffnung ist alles angerichtet: Es gibt belegte Brötchen für jedwede Gaumenfreude, Bier und eine Auswahl an Fan-Devotionalien, die manchen ProA-Ligisten vor Neid erblassen ließen. Die dritte Ausgabe des Hallenhefts liegt aus, die aufgestellten Banden stehen und alles ist bereit für Basketball. Das Gros der 30.000 Einwohner in der Stadt, die das „Tor zum Harz“ bildet, hat den Handball ins Herz geschlossen, doch seit Jahren steigt die Tigers-Schlagzahl. Die ganzheitliche Professionalisierung, angeführt von Präsident Nico Meinicke, macht sich bemerkbar. Am Basketball führt in diesem Stück Mitteldeutschland mittlerweile kein Weg mehr vorbei.
Leader, ja. Patriarch: nein.
Gilt in jeder deutschen Halle: Absperrungen, Markierungen und Vorsichtsmaßnahmen zur Sicherheit aller Beteiligten.
Meinicke ist ein Mann klarer Worte, ein Mann, der begeistert und mitreißt. „Hi, ich bin Nico. Ich bin hier der Präsident“, sagt er zur Begrüßung. Damit ist alles gesagt. Oder auch nicht. Denn in den kommenden Stunden wird er mit den hochgekrempelten Ärmeln seines Hemdes durch das Ballhaus wuseln, sich um alles und jeden kümmern, anpacken, organisieren und unterstützen. Seit 2014 rangieren die Tigers fast ununterbrochen im oberen Drittel der Regionalliga Nord. Die Anzahl der Unterstützer wächst kontinuierlich, aus dem halb-professionellen Klub scheint mehr zu werden. Der Aufstieg in die ProB ist, ihr habt es gelesen, das mittelfristige Ziel. Was vor allem daran liegt, dass Meinicke kein Alleinunterhalter ist. Er fordert und fördert, gibt gerne die Schlagzahl vor und die regionale Basketballfamilie zieht mit. Während seine bessere Hälfte im VIP-Bereich die Oberhand hat – es gibt Schmalzbrot, Würstchen mit Senf, Snacks und Getränke – hat er außer und innerhalb der Halle alle Abläufe und Besucher im Blick. Er kann sich darauf verlassen, dass der Laden läuft. Aschersleben sprüht vor Basketball-Enthusiasten.
Einer dieser Enthusiasten ist Headcoach Thorsten Weinhold, der von allen nur „Weini“ genannt wird. Ein, zumindest im Norden, sehr bekanntes, sehr lebensfrohes Gesicht. Nach mehr als zwanzig Jahren beim MTV Wolfenbüttel hat er im Sommer hier in Aschersleben angeheuert und pendelt die 100 Kilometer lange Strecke nun tageweise. Mit Kurzarmhemd, Jeans und Leidenschaft bis in die verbliebenen, weiß-gewordenen Haarspitzen wird er sein Team im Verlauf des ganzen Abends anfeuern, justieren und in einer fehlergeprägten Partie zum Sieg führen. Anfangs sieht es aber nicht nach einem gelungenen Abend aus: Die Tigers starten schlecht ins Spiel und liegen schnell zweistellig zurück.
Viel Krampf, viel Kampf
Hagen, vor dem Beginn der Pandemie, im Ascherslebener Element. Foto: VOIGTographie.de
Für die Kulisse in „Deiner Insel des Alltags“, so der Markenclaim des Ballhauses, sorgen neben dem DJ derweil allen voran zwei Männer, die vor guter Laune regelrecht platzen und die Zurückhaltung auf den Rängen brechen: Manuel und Hagen, beide ausgestattet mit Trommeln, Kraft und Ausdauer – und einem Sinn für das Spiel. Als in der ersten Halbzeit die Cuxhavener, angeführt durch Wirbelwind Deon McDuffie und Center-Dominator Desmond Ringer, davonziehen, sorgen sie dafür, dass die Kulisse dem Team Halt gibt. Point Guard Patrick Lyons, irischer Nationalspieler wohnhaft in Sachsen-Anhalt, erwischt einen gebrauchten Tag, Tigers-Center Aivar Stikuts sieht unter den Körben kaum Land und die zahlreichen Youngster im Kader finden gegen die erfahrenen Baskets wenig Zugriff. Der Kampf muss es also richten. Der Kampf und die Erfahrung werden es richten. Klub-Legende Sebastian Harke (39 Jahre, 204 Zentimeter, 105 Kilogramm) und Davor Barovic (er hilft nach dem Ende seiner Profi-Karriere neben Ausbildung an der Fachhochschule der Polizei Sachsen-Anhalt noch aus) halten das Tigers-Fell im zweiten und dritten Viertel kratzerfrei. Hagen, der mit der Stimmung unzufrieden ist, zieht in der Halbzeit auf die Mitte der gut gefüllten Haupttribüne um – und reißt alle mit. Ohne Gnade drischt er gutgelaunt im Fan-Club-Hoody auf seine Trommel ein und gibt den perfekten Konterpart zum ebenfalls unermüdlichen Manuel, der weiterhin auf der Gegenseite für Furore sorgt. Der Einsatz zahlt sich aus: Aschersleben gewinnt das Top-Spiel in schlussendlich souveräner Art und Weise. Cuxhaven, das schon die kompletten 40 Minuten auf Marc Klesper und in der Schlussphase auch auf den am Knie verletzten Bo Meister verzichten muss, macht minutenlang keinen Korb. Die Hausherren entscheiden ein zähes Aufeinandertreffen 74:64 für sich, bleiben in eigener Halle ungeschlagen, festigen den dritten Tabellenplatz und setzt sich in der Spitzengruppe fest.
Findet im Spielverlauf und auch im zwischenmenschlichen Miteinander die richtigen Worte: Thorsten Weinhold. Foto: VOIGTographie.de
Gut ist entsprechend auch nach Spielende die Laune: Das komplette Team kommt im VIP-Raum der Halle zusammen, vertilgt gemeinschaftlich die eigens angelieferten Nudeln im Rekordtempo und trinkt noch ein isotonisches Kaltgetränk zum Abschluss – mit der Erlaubnis von Cheftrainer und Präsident. Schließlich kann nur derjenige, der sich wohlfühlt, gute Arbeit verrichten. Gute Arbeit mit Wohlfühlfaktor wird in Aschersleben zweifelsohne verrichtet. Dies merke ich bei gefühlt jedem Gesprächspartner. Das Ende des Abends erfolgt dennoch nicht in der Halle, sondern in der One SportsBar, die entgegen meiner Annahme nicht weit entfernt, sondern ebenfalls Teil des Ballhauses ist. Die Runde besteht aus Spielern, Trainer, Sponsoren, Helfern und Gästen, denen nicht das Gefühl eines Gastes, sondern als Bestandteil der Gemeinschaft gegeben wird. Die Tigers sind eine eingeschworene, eine gewachsene Gemeinschaft. Mit Zielen. Mit Perspektive. Jederzeit einen Besuch wert.
In eigener Sache: Nach dem mitteldeutschen Debüt von ‘BIG-Besuch’ steht der zweite Trip im November zwar auf der Agenda, das Ziel aber noch nicht endgültig fest. Falls ihr (Reise-)Empfehlungen, Fragen, Wünsche, Anmerkungen, Kritik und/oder Verbesserungsvorschläge äußern möchtet, freue ich mich über Euren Input via E-Mail ( robert@big-basketball.de) oder Social Media.