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Spiel des Lebens

Appetizer des Monats: Januar 2023. Yassin Mahfouz.

Spiel des Lebens

Yassin Mahfouz hatte einen Traum: Basketballprofi werden. Das Problem: Nichts schien zusammenzupassen. Bis sich nach jahrelangem Puzzeln doch alles fügte.

Text: Florian von Stackelberg

Es ist ein warmer Samstagabend im September 2022 in Ägypten, als Yassin Mahfouz sagt: „Für die meisten in meiner Situation ist der Zug schon lange abgefahren. Für mich geht es gerade erst los.“ Zu diesem Zeit-punkt ist er 28 Jahre alt, seit wenigen Wochen ist die Tinte unter seinem ersten Vertrag als Profibasketballer trocken. Von Berlin nach Alexandria, vom Amateur zum Profi bei Ashab Aljead, vom Puzzle zum Bild – ein Spätberufener.
Sein Karriere-Puzzle zeigt die Härte des Geschäfts, verkanntes Talent und echte Freundschaft. Es zeigt, wie wichtig es ist, Träume zu bewahren, Selbstbewusstsein aufzubauen und auch in schweren Phasen nicht aufzugeben. Und dass man vieles von dem, was passiert, nicht versteht – bis plötzlich alles zusammenpasst. Mahfouz ist 1,93 Meter groß und wiegt 105 Kilogramm, harte Muskeln, weiches Händchen. Dazu hat er einen Zug zum Korb wie eine Kanonenkugel. Und er ist einer, der Feuer fangen kann, und einer, der andere entzünden kann – mit Aktionen, mit Defense und mit Emotionen. Kurz: ein Spielertyp, den theoretisch jedes Team braucht.

„Ich wollte schon immer Basketballprofi werden. Und ich habe auch nie daran gezweifelt, das zu schaffen“, sagt der mittlerweile 29-jährige Forward. Objektiv betrachtet lag in der Retrospektive das Aufhören oft näher als das Weitermachen. Aber: „Er ist eine Kämpfernatur, loyal, ein aufrichtiger Supertyp, der sein Herz auf dem Court lässt“, beschreibt ihn Dia Soliman. Der Gründer des Street-ball-Teams Der Stamm ist eines der wichtigen Puzzleteile in Mahfouz’ Profikarriere. Dazu später mehr.

Zunächst gilt es zu klären: Wie kommt ein Berliner auf die Idee, in Ägypten Basketballprofi zu werden? Vorweg: Es ist zunächst ein recht klassischer Weg. Der zehn Jahre ältere Bruder Adnan nimmt ihn mit zum Basketball, er spielt über die gesamte Jugend auf anspruchsvollem Niveau, unter anderem mehrere Jahre mit Maodo Lo im Team. Er wächst bei der Mutter in Berlin auf, der Vater ist Ägypter – was später noch ein wichtiges Puzzleteil wird. Aber ein paar Familienbesuche in Kairo bereiten ihn kaum auf das vor, was ihn später erwartet.
Er ist kein klassischer Streetballer, zockt aber bei Turnieren mit. Unter anderem gewinnt er in Berlin das Red Bull King of the Rock, ein Eins-gegen-eins-Turnier. Man könnte das als Initialzündung beschreiben, ohne dass er oder irgendjemand anderes das zu diesem Zeitpunkt wissen konnte. Denn in dieser Turnierserie lernt er Dia Soliman kennen, der damals noch selbst spielt.

Mahfouz’ Weg führt ihn erst mal weiter im Hallenbasketball, 2014 bekommt er ein Angebot vom damaligen Zweitligisten NINERS Chemnitz, spielt in 13 Spielen in der ProA aber nur etwas über vier Minuten im Schnitt. Nach einem Jahr zieht er weiter nach Wolfenbüttel in die ProB und kommt dort auf gut 20 Minuten, dazu darf er beim Profikader der Löwen Braunschweig mit trainieren. Nach zwei Saisons und mit mittlerweile fast 24 Jahren ist er vom Talent zum Kaderfüller geworden, der Profizug scheint ohne Mahfouz abzufahren.
„Ich kann es mir nicht erklären, weshalb die Coaches mein Talent nicht erkannt haben. Ich war immer ein unkonventioneller Spieler und habe vielleicht nicht in die Schablone des Talentes gepasst“, sagt Mahfouz. Dia Soliman sagt: „In Deutschland wird bei Talenten oft nach dem Ist-Zustand und nicht nach dem Kann-Zustand bewertet. Dadurch werden die Leute nicht gefördert, die sich später entwickeln können, sondern die, die gerade gut sind.“

Er wechselt nach Koblenz, zu einer ambitionierten Mannschaft in der 1. Regionalliga, weil er dort beim Sponsor ein duales Studium absolvieren kann. Er geht um 5 Uhr ins Fitnessstudio und kommt um 23 Uhr nach Arbeit und Training nach Hause. Obwohl es sportlich läuft und Koblenz in diesem Jahr in die ProB aufsteigt, merkt Mahfouz, dass der Trend für ihn keineswegs mehr in Richtung Profi zeigt.
Corona kommt und Yassin Mahfouz entscheidet sich, verstärkten Fokus auf eine andere Form des Basketballs zu legen: Mittlerweile ist er jeden Sommer bei Der Stamm im 3×3 im Einsatz, mit Spielern wie Kostja Mushidi, Eddy Edigin oder Kevin Yebo. Zwei Jahre lang spielt er ausschließlich im 3×3, ist auf der World Tour unterwegs. Der Profibasketball im klassischen Sinne rückt in noch weitere Ferne. In dieser Zeit, erzählt Soliman, „ist eine Freundschaft gewachsen“. Erst als Mitspieler, später als Coach und dann als Mentor. Gleichzeitig fangen die Puzzlestücke langsam an, sich zu fügen: Auf einem der World-Tour-Stopps im 3×3 ist auch ein Team aus Ägypten dabei, das erfährt, dass Mahfouz einen ägyptischen Vater hat. Die 3×3-WM steht kurz bevor, und das Team aus Nordafrika möchte Yassin Mahfouz dank der von ihm gezeigten Leistungen bei Der Stamm als Spieler dabeihaben. Es gibt allerdings zwei Probleme: Mahfouz hat keine ägyptische Staatsbürgerschaft und, das stellt sich später heraus, muss mindestens ein Jahr einen ägyptischen Pass besitzen, um im 3×3 für die Nationalmannschaft spielen zu können. Folglich kann er nicht spielen.

Aber: Es ist der Keimling einer bedeutenden Idee. Aus dem Kontakt zu den Spielern des ägyptischen Nationalteams erwächst der Gedanke, doch noch Profi werden zu können: im klassischen Fünf-gegen-fünf! Und hier kommt Dia Soliman wieder ins Spiel, der in Aachen geborene Basketballspezialist hat nicht nur zwei aus Ägypten stammende Eltern-teile und spricht perfekt Arabisch mit ägyptischem Akzent – er hat vor 20 Jahren auch selbst als Profi in Ägypten gespielt und noch gute Kontakte in die dortige Basketballszene. Das Puzzle setzt sich weiter zusammen: In der nationalen Liga Ägyptens gibt es eine scharfe Ausländerregelung, die nur einen Importspieler pro Team erlaubt. Was Yassin Mahfouz, mittlerweile mit der ägyptischen Staatsbürgerschaft ausgestattet, ganz plötzlich sehr wertvoll macht.
Dia Soliman übernimmt die Spielerbe-ratung von Mahfouz. „Yassin wollte unbedingt Profi werden, er hätte das erstbeste Angebot angenommen“, erzählt Soliman. Der Mentor kennt die ägyptische Mentalität gut und weiß, dass Verhandlung ein wichti-ger Teil davon ist. Also wartet er auf das richtige Angebot und vermittelt Yassin Mahfouz an Ashab Aljead in Alexandria. Einen Verein aus dem Tabellenmittelfeld, in dem seine Rolle groß und trotzdem Platz zum Hineinwachsen ist – Mahfouz unter-schreibt mit 28 Jahren seinen ersten Profivertrag und scheint das Puzzle gelöst zu haben.

Die Euphorie ist groß im Spätsommer dieses Jahres, als die Reise beginnt – doch das Puzzle muss zusammen-gehalten werden, die Kehrseite des Profitums kommt mit voller Breitseite: Er spricht weder Arabisch noch kennt er den athletischen, unsortierten Spielstil oder die Teammates. Das Heimweh nach seiner in Berlin leben-den Frau frisst ihn auf: Morgendliche Tränen und die Frage, ob es das alles wert ist, begleiten ihn über Wochen. Hinzu kommt: Sein Team hat meistens nur einmal am Tag Training, Basketball bietet kaum Ablenkung: „Ich hatte 22 Stunden am Tag frei und keine Ahnung, was ich damit anstellen sollte“, erzählt Mahfouz. „Mir wurde erstmals klar, wie sich die Amerikaner fühlen, mit denen ich früher in Deutschland zusammengespielt habe“, sagt er. Er hat so lange dafür gekämpft, Profi zu sein, also legt er sich Taktiken zurecht, wie er aus seiner mental schlechten Verfassung herauskommt. „Ich lerne daraus, ich werde aus dieser Situation stärker“, ist eines seiner Leitmotive in dieser Zeit. Dazu organisiert er sich selbst den Alltag eines Profis, um sich abzulenken und um besser zu performen. Allmorgendlicher Shootaround auf dem Außencourt seines Klubs, Fitnessstudio, Training und Regeneration.
Der Saisonstart ist vielversprechend, seine Leistungen als Führungsspieler überzeugen auf Anhieb – bis die Verletzungen beginnen. „Hier herrscht ein anderer Druck.

Wenn du krank oder verletzt bist, dann erwartet jeder, dass du trotzdem spielst“, sagt er. Nach einem gestauchten Zehengelenk ist er wieder besser in Form, bis ein Bluterguss im Hand-gelenk ihn einschränkt. Kurz vor einer Partie hält es der Teamarzt für eine gute Idee, das Handgelenk schmerz-frei zu spritzen – ein anaphylaktischer Schock während des Spiels ist die Folge, mit erneut längerer Ausfallzeit. Mittlerweile ist er angekommen in Ägypten. Er habe daraus gelernt, dass man einen größeren Fokus auf sich und seine Gesundheit legen müsse als in Deutschland, sagt er. Medikamente werden inflationär verschrieben, Verletzungen nicht auskuriert, Leistungsdruck mit der Androhung einer Verweigerung der Auszahlung des nächsten Monatsgehaltes erhöht und hoch gehalten. Und das in einer extrem physischen Liga, in der das Leistungsgefälle zwischen BBL-Niveau und unterer ProB liegt. Zu den absoluten Top-Teams in ganz Afrika gehört Al-Ittihad, wo der frühere Bundestrainer Henrik Rödl aktuell coacht. Bei diesen Top-Klubs werden Gehälter gezahlt, die in Deutschland nur von ALBA oder Bayern gestemmt werden könnten, im mittleren fünfstelligen Bereich – pro Monat! Dazu gibt es internationale Top-Spieler, gute Trainingsbedingungen und die Basketball Africa League – das afrikanische Pendant zur EuroLeague, das stark von der NBA gefördert wird, mit Großsponsoren wie Nike, Air Jordan und Pepsi.

Dort tummeln sich Talente. Das wäre eine nächste Station, die sich Yassin Mahfouz vorstellen könnte. „Viele in der Liga schauen auf mich, weil ich quasi aus dem Nichts gekommen bin“, sagt er.
Und auch das liegt in seinem Horizont: die Nationalmannschaft Ägyptens. „Die braucht noch einen Sieg in den nächsten drei Spielen, um sich für WM 2023 zu qualifizieren“, erzählt er – und man erkennt sofort seinen Gedankengang: „Vom Niveau her könnte ich dort mitspielen, meine Chance erarbeite ich mir über die Liga.“ In einem schwer zu durchschauenden Ligasystem bastelt er an einer erfolgreichen Saison als Go-to-Guy, um sich auch für diese höheren Ziele zu empfehlen. Es ist dieser eiserne Wille von Yassin Mahfouz, seinen Traum weiterzuleben. Ein Spätstarter mit Visionen und Träumen, der nicht lockerlässt, weil er sich selbst bewiesen hat, dass er diese auch erreicht. Wenn auch erst im zweiten oder dritten Anlauf. Aber er erreicht sie! Und falls nicht, hätte er auch eine Back-up-Perspektive: „Er ist bei Der Stamm in einer Familie angekommen, wir haben auch noch einen Job für ihn, wenn er 50 ist“, sagt Mentor Soliman.

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