Text: Rupert Fabig | Foto: FIBA
Fangen wir mit der guten Nachricht an: Einen Tinnitus holte sich im Hexenkessel von Botewgrad kein deutscher Nationalspieler ab. Die schlechte Nachricht: Das war es dann auch schon mit guten Nachrichten. Anstatt mit Ohren- tritt der Weltmeister die Heimreise von der EM-Qualifikation in Bulgarien mit Kopfschmerzen und der ersten Pflichtspielniederlage seit dem Aus im EM-Halbfinale gegen Spanien 2022 an.
Sollte es eine deutsche Basketball-Nationalmannschaft anno 2024 dennoch nötig haben, nach einer Pleite, die Jonas Wohlfarth-Bottermann damit verglich, „wenn Deutschland im Fußball 0:1 in Aserbaidschan verliert”, Schmerzstiller zu suchen, dann lässt sich in der Hausapotheke tatsächlich etwas finden: Die EM-Quali dürfte nach dem souveränen 85:61 am Donnerstag gegen Montenegro in keiner Weise gefährdet sein, da drei der vier Teams aus der Gruppe, zu der noch Schweden zählt, weiterkommen.
Symptome bekämpft, Ursachenforschung: Wenn Bundestrainer Gordon Herbert nun wieder Aufbauarbeit betreiben muss, dann da, wo diese anfängt: bei der Aufbauarbeit. Durch das Fehlen des gegen Montenegro starken Nick Weiler-Babb, im Übrigen selbst kein etatmäßiger Spielmacher, in Bulgarien war die Ermangelung eines puren Point Guards auf internationalem Niveau offenkundig. Der europäisch eher weniger erfahrene Bennet Hundt sowie der im Verein selten eingesetzte Nelson Weidemann agierten im Rahmen der Möglichkeiten solide, nahmen wenig weg, hatten aber auch selten Progressives zu bieten. 21 Turnover und 29 Prozent Feldwurfquote sind Indizien für das größte Problem dieses Kaders, der lediglich dreimal gemeinsam trainieren konnte. So musste bei einem Außenseiter, der selbst nicht die Bäume in der Defensive ausriss, gegen dessen Switch-Verteidigung häufig improvisiert werden.
Was direkt zur nächsten Schmerzzone führt. Der Großteil der Akteure ist bei guten Vereinsteams eher in sekundärer Rolle aktiv, seltener zum Kreieren – was explizit sämtliche Nationalspieler bei ihren Klubs hervorragend umsetzen. Im Nationalteam mussten einige von ihnen jedoch in größere, ungewohnte Rollen schlüpften – was in Bulgarien wiederum selten gelang. Einer, der ein Leistungsträger sein musste, betrieb in diesem Fenster dennoch massiv Werbung für sich, einer anderer dagegen hatte zu kämpfen.
Oscar da Silva war die dringend benötigte Offensivkur, wenn alles zu sehr zu verkrampfen drohte. Wie der Big Man vom FC Barcelona zeitweise gesucht und eingesetzt wurde, erinnerte beinahe an die Nowitzki-Ära, als alles heliozentrisch auf den Superstar ausgerichtet war, der Deutschland immer irgendwie aus dem Schlamassel befreite. In dieser Verfassung ist da Silva in jedem Fall ein Kandidat für Olympia.
Wenngleich Herbert regelmäßig betont, dass die zwölf Weltmeister im Normalfall einen Bonus genießen, wäre es eine Überlegung wert, da Silva nach Paris mitzunehmen. Auf wessen Kosten? Der naheliegendste Kandidat zum Rechnung zahlen ist David Krämer, der seinen irgendwo auf dem Weg von Braunschweig über Manila nach Granada verloren gegangenen Wurf weder in Ludwigsburg, noch in Botewgrad wiederfand, vor allem gegen die Bulgaren völlig neben sich stand. Die Point-Guard-Problematik wiederum machte Justus Hollatz in Abwesenheit und trotz schwieriger Saison samt Verletzungsproblemen bei Anadolu Efes Istanbul zum heimlichen Gewinner. Ein Niels Giffey, der beim FC Bayern München zuletzt immer besser in Fahrt kam und ein bewiesener Gewinner ist, sollte nicht infrage gestellt werden, die verbleibenden neun Weltmeister stehen ohnehin nicht zur Disposition.
Eine schnelle Therapie für das Fenster-Team, das vor allem im November und kommenden Februar bei den nächsten Qualifikationspartien wieder zusammenkommt, ist jedoch auch in Sicht: Denn die fehlende Spannung, von der mehrere Spieler sprachen, ist unentschuldbar, aber eben auch fix zu beheben. Die einschüchternde Atmosphäre darf für eine Mannschaft, in der sechs EuroLeague-Akteure standen, auch keine Ausrede sein. „Wir sind gute Atmosphären gewohnt”, sagte schließlich auch Hundt.
„Man kann das Fenster ganz gut damit zusammenfassen, dass wir stark angefangen und stark nachgelassen haben”, sagte Wohlfarth-Bottermann. Zur ganzen Wahrheit zählt aber auch: Das Spiel gegen Montenegro war nicht so laut, wie es das Resultat vermuten lässt, das in Bulgarien nicht so leise – zumindest auf den Rängen.