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Unvergessen

Der Tod von ADEMOLA OKULAJA hat die Basketballwelt kalt erwischt. Über einen Mann, der als Krieger bekannt wurde und der mit nur 46 Jahren ganz leise aus dem Leben schied

TEXT: MARTIN FÜNKELE

Das Bild, das wir von Ademola Okulaja haben, ist klar. Der Warrior, der bei der EM 2001 in Antalya einen 27-Punkte-Rückstand gegen Griechenland mit bloßem Willen wettmachte. Der Tar Heel, der an der Seite von Vince Carter und Antawn Jamison in North Carolina College-Geschichte schrieb. Der Kapitän der Nationalmannschaft (neun Jahre lang), der zusammen mit Dirk Nowitzki 2002 WM-Bronze gewann. Der Sportler eben, der seine Profikarriere 1994 in Berlin begann und sie 2009 in Bamberg beendete.

Dass Okulaja Krebs hatte, war auch kein Geheimnis. Erstmals öffentlich wurde die Krankheit, als der Berliner 2008 für die Olympischen Spiele absagen mussten, weil ihn vermeintliche Rückenprobleme außer Gefecht setzten. Der Tumor, der dafür verantwortlich war, steckte in seinen Knochen. Und ganz, wie es dem Bild des Warriors entspricht, bekämpfte Okulaja den Krebs und rang ihm zwischen 2010 und 2020 eine Karriere nach der Profilaufbahn ab. Hier endet das öffentliche Bild und hier beginnt diese Geschichte, die von einem erzählt, der unzählige Menschen berührte und am Ende von ganz wenigen begleitet wurde.

Das Lachen des Kriegers: Bis zum Schluss „hat Ademola kein einziges Mal geklagt, sondern gelächelt“, sagt Bintia Bangura

Einer davon ist Franck Dupuis. Der Berliner hat mit Adi auf den Freiplätzen der Hauptstadt gezockt, Okulaja als Unternehmer beraten und mit Ademola Spaziergänge gemacht, als die Corona-Pandemie und die Umstände des Lebens den stolzen Krieger vom Rest der Basketball-Community isoliert hatten. „Viele haben in ihm nur den Basketballer gesehen, der von einem Team zum anderen gezogen ist. So richtig zu fassen bekommen hat ihn bei uns keiner“, sagt Dupuis. Wie groß Okulaja war, wurde Dupuis unmittelbar nach seinem Tod am 17. Mai 2022 klar. Direkt nachdem NBA-Superstar Vince Carter, mit dem Okulaja zusammen in North Carolina gespielt hatte, auf Twitter sein Beileid bekundet hatte, klingelte bei Dupuis das Telefon. Aus Italien, Afrika, den USA – von überall riefen die Freunde an. Einer davon war Makhtar N’Diaye, auch er ein Ex-Tar-Heel und heute Chefscout der New York Knicks. „Was mir all diese Leute klargemacht haben: Ademola war mehr als ein Athlet“, sagt Dupuis.

Er war Deutscher, Afrikaner, Sportler, Agent, Vater, Sohn, Bruder, Unternehmer, Freund – er war unheimlich beliebt. „Die Heiterkeit nach außen verbarg einen inneren Kern, der mit vielen Schutzschichten ummantelt war“, sagt Dupuis. Eine, die all diese Schichten durchdringen durfte, war Bintia Bangura. Auch sie ist Berlinerin, und auch sie kannte Okulaja aus der JFK-Sporthalle. „Wir haben auch später noch, also vor rund einem Jahr, öfter draußen auf dem Tempelhofer Feld und am Hangar gezockt“, erinnert sich die Frau, der Okulajas letzte Worte galten.

Auf das erste Mal, als Okulaja auf den Freiplatz zurückkehrte, war er überhaupt nicht vorbereitet. Bangura spielte damals immer samstags auf einem Court in Kreuzberg, als der Ex-Profi in schicken Klamotten zum Zuschauen vorbeikam. „Ich spiel da jetzt mit“, sagte er, worauf Bangura erwiderte: „Bitte nicht! Guck mal, wie du aussiehst, bist viel zu schnieke angezogen!“ Okluaja war es egal, woraus sich eine Routine entwickelte, zu der die beiden in den folgenden Monaten auch alle fünf Kinder mitnahmen.

Im Sommer 2020 war das. Damals ging es Okulaja schon wieder besser – zumindest mental. Denn als die beiden, die sich schon seit 30 Jahren kannten, schließlich zueinanderfanden, war Okulaja ein in sich gekehrter Mann. Die Krankheit, die schmutzige Scheidung von seiner Ex-Frau und dazu eine pflegebedürftige Mutter hatten ihn mürbe und müde gemacht. Das Haus in Zehlendorf verwaist und still – auf dem Sofa dieser große sanfte Riese mit Sohn Adenoah. „Das hat meinem Herzen einen Stich versetzt“, sagt Bangura. „Wir sind eingezogen, haben aufgeräumt, neu gestrichen, überall meine Pflanzen aufgestellt, Mucke aufgedreht und gemeinsam mit Kind und Kegel ein neues Kapitel begonnen.“

Die 43-Jährige, die Anfang der 2000er als Soulsängerin Karriere machte und mit Xavier Naidoo und Deichkind auf der Bühne stand, brachte die Beats zurück in Okulajas Leben. „Er hat einmal zu mir gesagt: ‚Immer wenn du das Haus verlässt, mache ich Musik an. Sonst ist die Stille so laut, das ist mir früher gar nicht aufgefallen.‘“ Bangura erzählt von Abenden, an denen sie im Wohnzimmer tanzten oder auf dem Berliner Kreuzberg Köfte aßen. Die Last, die sich auf die einst so starken Schultern des stolzen Kriegers gelegt hatte, wurde erträglicher.

„Dass mein Bruder an Bintias Seite erstmals aufrichtig, selbstlose und wahre Liebe erfuhr und er um ihre Hand anhielt, machte mich sehr glücklich. Ich freute mich sehr für ihn. Endlich hatte er eine würdige Kriegerin an seiner Seite“, sagt Adekola Okulaja. So fand sein Bruder noch einmal zurück ins Leben.

Tar Heels unter sich: Okulaja, Antawn Jamison und Vince Carter

Er begann wieder zu trainieren, schaffte sich neue Fitnessgeräte für den Keller an. Und er reiste – oft zusammen mit seinem Freund Franck Dupuis. „Afrika war ein Sehnsuchtsort von ihm, weil es ja Teil seiner Identität war.“ Einerseits der nigerianische Krieger, anderseits die urdeutsche Sozialisation. „Das waren zwei Persönlichkeiten, die funktionierten, aber nie wirklich rundliefen. Wie er sich dem geöffnet hat, war schön zu sehen“, sagt Dupuis. Doch die Freunde waren nicht nur auf Spurensuche nach Okulajas Wurzeln, sie besuchten auch viele Sportevents. Wie den Boxkampf zwischen Conor McGregor und Floyd Mayweather in Las Vegas. „Da sprach uns ein Typ auf der Straße an und fragte ihn: ‚Hast du nicht früher für North Carolina gespielt?‘“, erinnert sich Dupuis.

Doch der Krebs war nicht weg – das wurde Okulaja schon bei seiner ersten Diagnose 2008 prophezeit. 2021 folgte die nächste Chemotherapie. Bangura erinnert sich an den Termin beim Onkologen: „Ich hatte so einen Respekt vor ihm. Die Diagnose war schlimm, aber er ist so souverän damit umgegangen und hat sich vor allem dafür interessiert, wie es mir dabei geht.“ Eine weitere Chemo wollte Okulaja unter keinen Umständen. Nicht noch einmal die Schmerzen, die Übelkeit, die Lehre. Er wollte leben, mit allen Sinnen lieben, lachen, und er wollte mit seiner großen Liebe alt werden. Also stimmte er der Behandlung zu. „Ich verspreche dir, wir werden alt zusammen. Es ist alles im Kopf, ich habe es bis hierhin geschafft, nun schaffen wir es zusammen. Hab bitte keine Angst.“ Das hat er Bangura immer wieder gesagt, „und ich habe zu jedem Zeitpunkt an ihn und seine mentale Stärke geglaubt“.

Von alldem drang nichts an die Öffentlichkeit. So war auch sein letzter Besuch bei einem ALBA-Spiel rund vier Wochen vor seinem Tod zunächst nichts Besonderes. Erst in der Halbzeit informierte Bangura Justus Strauven, den Freund und ALBA-Manager, wie schlecht es Okulaja ging. Mit Fieber und Schüttelfrost verließen sie die Arena. Doch Okulaja wollte nicht ins Krankenhaus. Stattdessen schenkte er Bangura zwei Wochen vor seinem Tod Tickets für Dionne Warwick, die am 17. Mai 2022 in der Verti Music Hall auftreten sollte. Die Tickets wurden jedoch nie abgerissen.

„Ademola hat kein einziges Mal geklagt, sondern gelächelt.“

„Bei der Einweisung ins Krankenhaus schaute der Arzt mich mit einem langen, durchdringenden Blick an, der alles sagte“, erinnert sich Bangura. Sie kamen zu spät. Der Krebs war nicht aufzuhalten. Die darauffolgenden Tage erlebt Bangura als surreal. „Ademola hat kein einziges Mal geklagt, sondern gelächelt.“ Die dreifache Mutter, in deren Haushalt und Obhut Adenoah nach eigenem Wunsch mit Banguras Söhnen lebt, erzählt diese traurige Geschichte mit fester Stimme. Eine starke Frau, die auch die letzten Stunden an Okulajas Seite übersteht, ohne zu weinen. „‚Bist du okay?‘, war das Letzte, was er mich gefragt hat.“

Bangura und auch Dupuis erzählen Okulajas Geschichte, weil sie Angst haben, dass er in Vergessenheit gerät. Deshalb initiierten sie zusammen mit einem kleinen Kreis Berliner Freunde die Billboard-Aktion, die während der EuroBasket in der Berliner Chausseestraße zu sehen war. Und deshalb wollen sie auch, dass Okulajas letzte Ruhestätte kein anonymer Ort bleibt. Auf dem Waldfriedhof in Zehlendorf liegt sie. Ein massiver Eichenstamm trägt die Büste des Verstorbenen, die die Familie gemeinsam mit einem Skulpturisten und ganz viel Liebe zum Detail erschaffen hat. Bangura ist oft hier. Wenn es kalt ist und wie neulich der erste Schnee fällt, setzt sie ihm eine Mütze auf. „Wir hatten eine so schöne, achtsame Zeit zusammen. Er war ein einmaliger Glücksgriff für mich.“

Okulajas letzte Ruhestätte: Auf dem Waldfriedhof in Zehlendorf erinnert eine auf einem Eichenklotz stehende Büste an den Verstorbenen

Am 10. Juli 2022, dem Tag, an dem Okulaja 47 Jahre alt geworden wäre, organisierte sein Bruder Adekola Okulaja eine Gedenkfeier in einem Berliner Hotel. 150 enge Weggefährten aus Jugend, Business und Sport waren da. Bekannte Persönlichkeiten wie Mithat Demirel, Dirk Nowitzki, Antawn Jamison und Shammond Williams waren gekommen, um Okulajas Leben zu feiern. Wenig später hielt die BBL bei allen Heimspielen eines Spieltags eine Schweigeminute ab. Die Herren-Nationalmannschaft wiederholte diese Geste bei ihren WM-Qualifikationsspielen im Sommer und lief dabei mit einem Trauerflor auf den Trikots auf.

Das war’s, mehr Raum für organisierte Erinnerungen gibt es im deutschen Basketball nicht. Keine offizielle Trauerfeier, keine Hall of Fame, kein Erinnern. „Wenn ein Mensch nirgends mehr stattfindet, lebt er wirklich nicht mehr“, befürchtet Bangura. Deshalb erzählt sie von Ademola, und deshalb hat sie die Idee, einen Basketballcourt nach ihm zu benennen, noch nicht ad acta gelegt. Eigentlich wollten sie das schon längst gemacht haben, aber das deutsche Gesetz hat hierfür klare Regeln: Um eine Straße oder einen Ort nach einer Persönlichkeit zu benennen, muss diese bereits fünf Jahre tot sein.

Deshalb denken die Berliner Freunde auch darüber nach, etwas Neues zu schaffen. Einen Court, einen Treffpunkt für Jugendliche – in memoriam Ademola. „Wir wollen nicht aufgeben, nur weil der einfache Weg nicht geht“, sagt Dupuis. Eines ist sicher: „Ademola würde von oben herablachen, wenn es einen Court gäbe, der seinen Namen trägt“, sagt Bangura. Und damit würde sich ein Kreis schließen: Denn das Lachen des Warriors war schon zu Lebzeiten unwiderstehlich.

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