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Wie aus surreal real wird

Wie für den Münchner Basketballer Tristan da Silva plötzlich der NBA-Traum in Erfüllung ging // Text: Uli Knapp

„Surreal” – dieses Wort fällt immer wieder. Schon eine Woche vor dem Draft nennt Tristan da Silva das alles surreal. Da sitzt er in seinem Zimmer in Miami und nimmt sich Zeit per Videocall. In Miami bereitet sich der Münchner damals auf den Draft vor. Da Silvas Agentur hat dort eine Art Camp eingerichtet, in dem der 23-Jährige trainiert und von wo aus er zu den Workouts interessierter NBA-Teams reist, zum Beispiel zu den Los Angeles Lakers, den Cleveland Cavaliers und auch den Orlando Magic. Dass er wenig später beim Draft an 18. Stelle genau dort landen wird, in Orlando, weiß der Münchner Basketballer natürlich noch nicht. Aber seine Mutter Christine hofft es. Auch sie findet es „ein bisschen surreal und irre”. Sie steht in der Turnhalle des MTSV Schwabing in München, wo Tristan zum College-Spieler reifte. Christine da Silva findet, die Magic hätten ja schon zwei Deutsche, Franz und Moritz Wagner, und außerdem seien sie ein junges Team, und da würde Tristan doch gut reinpassen. „Außerdem ist es an die Ostküste nicht so weit von Deutschland aus.”

„Surreal” findet auch Oscar da Silva die ganze Situation um seinen jüngeren Bruder Tristan. Oscar hat ebenfalls in der kleinen Halle an der Münchner Freiheit geschuftet, geformt von Coach Robby Scheinberg in der IBAM, der Internationalen Basketball Akademie München. Derzeit kämpft Oscar da Silva um einen Platz im Olympia-Kader der deutschen Basketball-Nationalmannschaft. Aber mindestens genauso wichtig ist, wo in der NBA sein Bruder landen wird.


„Der spielt einfach Basketball, so wie man ihn spielen sollte. Der denkt nicht zu viel nach, sondern zockt. Ich glaube, das kommt ihm sehr zugute. Das ist interessant für viele Teams. Er findet ganz organisch seine Lösungen in allen möglichen Situationen.” Mama Christine geht in eine ähnliche Richtung: „Der tanzt wie so ein Brasilianer auf dem Platz rum. Ich versteh ja nicht viel von Basketball. Aber ich seh das. Es ist so!” „Gut gesagt”, stimmt ihr Oscar zu. Und Papa Valdemar ergänzt: „Sehr leichtfüßig.”  Dieses „Surreale” passiert alles eine Woche vor dem Draft in Brooklyn. Dann, am großen Tag selbst, steht Tristan da Silva im Barclays Center wenige Meter vor der Bühne. Nur noch wenige Minuten bis zur Draft-Show, in der NBA-Chef Adam Silver nach und nach verkündet, welches Team welchen Spieler auswählt.

Das Münchner Kindl Tristan repräsentiert seine Heimat
Die ganze Familie da Silva ist angereist, alle in Tracht, seine Mama, ursprünglich aus Marktoberdorf im Allgäu, glänzt im Dirndl. Auch sein Mentor Robby Scheinberg und zwei seiner engsten Freunde tragen Lederhosen. Nur Tristan trägt lieber seinen Maßanzug und vertritt damit dennoch seine Heimat. „Sodala”, sagt er in die Handykamera seiner Mama. „Mit meinem Anzug habe ich mich entschieden, Deutschland zu repräsentieren.” Der Anzug ist halb schwarz und halb rot. Tristan deutet verschmitzt auf seine Uhr: „Und ein bisschen Gold haben wir auch.”

Tristan da Silva am College für Colorado. Foto: Imago/Trevor Ruszkowski

Bayern und München repräsentiert er ebenfalls. Genauer gesagt übernimmt das Innenfutter seines Sakkos diese Aufgabe. Die linke Seite des Jackets ist voll von weiß-blauen Rauten und die rechte ist in gelb und grün gehalten, den brasilianischen Nationalfarben. Vater Valdemar stammt ja aus Brasilien. Dazu kommen die Wappen seiner bisherigen Klubs, ein Frosch für den DJK Sportbund München in Pasing, seinem ersten Verein. Und das Logo der IBAM darf auch nicht fehlen. Es erinnert ein bisschen an das Logo der Orlando Magic. Außerdem deutet Tristan da Silva stolz auf das Stadtwappen Münchens, das Münchner Kindl. „Ich als Münchner musste natürlich schauen, wie ich München da reinbringe.”

Er zieht die Augenbrauen hoch, mehrmals, scheint sich locker zu machen, und sagt dann ins Handy seiner Mama: „Ich bin gespannt, welches Team mich aufnimmt. So oder so bin ich bereit.” Und: „Sehr surreal alles.” Was sonst? Sein Bruder Oscar da Silva findet unmittelbar vor dem Draft, dass Tristan der Coolste sei von allen, die aus der Heimat dabei sind.

Als dann Commissioner Adam Silver einige Minuten später verkündet, dass die Orlando Magic mit dem 18. Pick Tristan da Silva aus Munich, Germany, und von der University of Colorado auswählen, da springt die Familie erleichtert auf. Tristan umarmt zuerst seine Mama Christine, dann seinen Papa Valdemar. Danach herzt er seinen Bruder Oscar im blauen Trachtenjanker und weißen Sneakern. Tristan federt die Stufen hinauf, greift auf dem Weg nach oben elegant zur Basecap seines neuen Klubs Orlando und schüttelt wenige Sekunden später NBA-Boss Silver die Hand. Er ist angekommen.

Aus surreal wird real.

Papa Valdemar, jetzt auch mit Magic-Cap, ringt um Worte: „Ein Traum von uns allen ist in Erfüllung gegangen. Ich brauche wahrscheinlich ein paar Tage, um das zu realisieren. Ich bin stolz auf meine beiden Jungs.” Jugendtrainer und Mentor Robby Scheinberg findet ganz viele Worte: „Das ist ein unvergessenes Ereignis! Ein Münchner Junge auf Platz 18 in der ersten Runde des NBA Drafts nach Orlando ist crazy. Einfach nur crazy! Ich glaube, es hätte kein besseres Los gegeben. Die halbe deutsche Nationalmannschaft spielt da jetzt. Das ist eine richtig geile Story für alle jungen Basketballer in Deutschland. Ich kann dem Tristan nur alles Gute wünschen. Heute lassen wir es richtig krachen!”

Mama Christine strahlt und stützt ihre Hände auf einen goldenen Basketball, auf dem „Tristan da Silva“ steht: „Ich freue mich sehr! Das ist ganz wunderbar, dass unser Sohn nach Orlando geht! Da gibt’s ne kleine deutsche Abteilung jetzt, und ich bin sicher, dass er dort nicht nur arbeiten, sondern auch ganz viel Spaß haben wird.” Bei Orlando spielen ja schon die deutschen Brüder Franz und Moritz Wagner. Und von Oktober an in der neuen Saison aller Voraussicht nach auch Tristan da Silva aus München. Am Tag nach dem Draft ist er direkt nach Orlando geflogen. Ganz real.

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