BIG-APPETIZER – BIG https://big-basketball.com BASKETBALL IN GERMANY Thu, 16 May 2024 11:33:15 +0000 de-DE hourly 1 Unvergessen https://big-basketball.com/2024/05/16/unvergessen/ Thu, 16 May 2024 11:33:15 +0000 https://big-basketball.com/?p=8298 Der Tod von ADEMOLA OKULAJA hat die Basketballwelt kalt erwischt. Über einen Mann, der als Krieger bekannt wurde und der mit nur 46 Jahren ganz leise aus dem Leben schied

TEXT: MARTIN FÜNKELE

Das Bild, das wir von Ademola Okulaja haben, ist klar. Der Warrior, der bei der EM 2001 in Antalya einen 27-Punkte-Rückstand gegen Griechenland mit bloßem Willen wettmachte. Der Tar Heel, der an der Seite von Vince Carter und Antawn Jamison in North Carolina College-Geschichte schrieb. Der Kapitän der Nationalmannschaft (neun Jahre lang), der zusammen mit Dirk Nowitzki 2002 WM-Bronze gewann. Der Sportler eben, der seine Profikarriere 1994 in Berlin begann und sie 2009 in Bamberg beendete.

Dass Okulaja Krebs hatte, war auch kein Geheimnis. Erstmals öffentlich wurde die Krankheit, als der Berliner 2008 für die Olympischen Spiele absagen mussten, weil ihn vermeintliche Rückenprobleme außer Gefecht setzten. Der Tumor, der dafür verantwortlich war, steckte in seinen Knochen. Und ganz, wie es dem Bild des Warriors entspricht, bekämpfte Okulaja den Krebs und rang ihm zwischen 2010 und 2020 eine Karriere nach der Profilaufbahn ab. Hier endet das öffentliche Bild und hier beginnt diese Geschichte, die von einem erzählt, der unzählige Menschen berührte und am Ende von ganz wenigen begleitet wurde.

Das Lachen des Kriegers: Bis zum Schluss „hat Ademola kein einziges Mal geklagt, sondern gelächelt“, sagt Bintia Bangura

Einer davon ist Franck Dupuis. Der Berliner hat mit Adi auf den Freiplätzen der Hauptstadt gezockt, Okulaja als Unternehmer beraten und mit Ademola Spaziergänge gemacht, als die Corona-Pandemie und die Umstände des Lebens den stolzen Krieger vom Rest der Basketball-Community isoliert hatten. „Viele haben in ihm nur den Basketballer gesehen, der von einem Team zum anderen gezogen ist. So richtig zu fassen bekommen hat ihn bei uns keiner“, sagt Dupuis. Wie groß Okulaja war, wurde Dupuis unmittelbar nach seinem Tod am 17. Mai 2022 klar. Direkt nachdem NBA-Superstar Vince Carter, mit dem Okulaja zusammen in North Carolina gespielt hatte, auf Twitter sein Beileid bekundet hatte, klingelte bei Dupuis das Telefon. Aus Italien, Afrika, den USA – von überall riefen die Freunde an. Einer davon war Makhtar N’Diaye, auch er ein Ex-Tar-Heel und heute Chefscout der New York Knicks. „Was mir all diese Leute klargemacht haben: Ademola war mehr als ein Athlet“, sagt Dupuis.

Er war Deutscher, Afrikaner, Sportler, Agent, Vater, Sohn, Bruder, Unternehmer, Freund – er war unheimlich beliebt. „Die Heiterkeit nach außen verbarg einen inneren Kern, der mit vielen Schutzschichten ummantelt war“, sagt Dupuis. Eine, die all diese Schichten durchdringen durfte, war Bintia Bangura. Auch sie ist Berlinerin, und auch sie kannte Okulaja aus der JFK-Sporthalle. „Wir haben auch später noch, also vor rund einem Jahr, öfter draußen auf dem Tempelhofer Feld und am Hangar gezockt“, erinnert sich die Frau, der Okulajas letzte Worte galten.

Auf das erste Mal, als Okulaja auf den Freiplatz zurückkehrte, war er überhaupt nicht vorbereitet. Bangura spielte damals immer samstags auf einem Court in Kreuzberg, als der Ex-Profi in schicken Klamotten zum Zuschauen vorbeikam. „Ich spiel da jetzt mit“, sagte er, worauf Bangura erwiderte: „Bitte nicht! Guck mal, wie du aussiehst, bist viel zu schnieke angezogen!“ Okluaja war es egal, woraus sich eine Routine entwickelte, zu der die beiden in den folgenden Monaten auch alle fünf Kinder mitnahmen.

Im Sommer 2020 war das. Damals ging es Okulaja schon wieder besser – zumindest mental. Denn als die beiden, die sich schon seit 30 Jahren kannten, schließlich zueinanderfanden, war Okulaja ein in sich gekehrter Mann. Die Krankheit, die schmutzige Scheidung von seiner Ex-Frau und dazu eine pflegebedürftige Mutter hatten ihn mürbe und müde gemacht. Das Haus in Zehlendorf verwaist und still – auf dem Sofa dieser große sanfte Riese mit Sohn Adenoah. „Das hat meinem Herzen einen Stich versetzt“, sagt Bangura. „Wir sind eingezogen, haben aufgeräumt, neu gestrichen, überall meine Pflanzen aufgestellt, Mucke aufgedreht und gemeinsam mit Kind und Kegel ein neues Kapitel begonnen.“

Die 43-Jährige, die Anfang der 2000er als Soulsängerin Karriere machte und mit Xavier Naidoo und Deichkind auf der Bühne stand, brachte die Beats zurück in Okulajas Leben. „Er hat einmal zu mir gesagt: ‚Immer wenn du das Haus verlässt, mache ich Musik an. Sonst ist die Stille so laut, das ist mir früher gar nicht aufgefallen.‘“ Bangura erzählt von Abenden, an denen sie im Wohnzimmer tanzten oder auf dem Berliner Kreuzberg Köfte aßen. Die Last, die sich auf die einst so starken Schultern des stolzen Kriegers gelegt hatte, wurde erträglicher.

„Dass mein Bruder an Bintias Seite erstmals aufrichtig, selbstlose und wahre Liebe erfuhr und er um ihre Hand anhielt, machte mich sehr glücklich. Ich freute mich sehr für ihn. Endlich hatte er eine würdige Kriegerin an seiner Seite“, sagt Adekola Okulaja. So fand sein Bruder noch einmal zurück ins Leben.

Tar Heels unter sich: Okulaja, Antawn Jamison und Vince Carter

Er begann wieder zu trainieren, schaffte sich neue Fitnessgeräte für den Keller an. Und er reiste – oft zusammen mit seinem Freund Franck Dupuis. „Afrika war ein Sehnsuchtsort von ihm, weil es ja Teil seiner Identität war.“ Einerseits der nigerianische Krieger, anderseits die urdeutsche Sozialisation. „Das waren zwei Persönlichkeiten, die funktionierten, aber nie wirklich rundliefen. Wie er sich dem geöffnet hat, war schön zu sehen“, sagt Dupuis. Doch die Freunde waren nicht nur auf Spurensuche nach Okulajas Wurzeln, sie besuchten auch viele Sportevents. Wie den Boxkampf zwischen Conor McGregor und Floyd Mayweather in Las Vegas. „Da sprach uns ein Typ auf der Straße an und fragte ihn: ‚Hast du nicht früher für North Carolina gespielt?‘“, erinnert sich Dupuis.

Doch der Krebs war nicht weg – das wurde Okulaja schon bei seiner ersten Diagnose 2008 prophezeit. 2021 folgte die nächste Chemotherapie. Bangura erinnert sich an den Termin beim Onkologen: „Ich hatte so einen Respekt vor ihm. Die Diagnose war schlimm, aber er ist so souverän damit umgegangen und hat sich vor allem dafür interessiert, wie es mir dabei geht.“ Eine weitere Chemo wollte Okulaja unter keinen Umständen. Nicht noch einmal die Schmerzen, die Übelkeit, die Lehre. Er wollte leben, mit allen Sinnen lieben, lachen, und er wollte mit seiner großen Liebe alt werden. Also stimmte er der Behandlung zu. „Ich verspreche dir, wir werden alt zusammen. Es ist alles im Kopf, ich habe es bis hierhin geschafft, nun schaffen wir es zusammen. Hab bitte keine Angst.“ Das hat er Bangura immer wieder gesagt, „und ich habe zu jedem Zeitpunkt an ihn und seine mentale Stärke geglaubt“.

Von alldem drang nichts an die Öffentlichkeit. So war auch sein letzter Besuch bei einem ALBA-Spiel rund vier Wochen vor seinem Tod zunächst nichts Besonderes. Erst in der Halbzeit informierte Bangura Justus Strauven, den Freund und ALBA-Manager, wie schlecht es Okulaja ging. Mit Fieber und Schüttelfrost verließen sie die Arena. Doch Okulaja wollte nicht ins Krankenhaus. Stattdessen schenkte er Bangura zwei Wochen vor seinem Tod Tickets für Dionne Warwick, die am 17. Mai 2022 in der Verti Music Hall auftreten sollte. Die Tickets wurden jedoch nie abgerissen.

„Ademola hat kein einziges Mal geklagt, sondern gelächelt.“

„Bei der Einweisung ins Krankenhaus schaute der Arzt mich mit einem langen, durchdringenden Blick an, der alles sagte“, erinnert sich Bangura. Sie kamen zu spät. Der Krebs war nicht aufzuhalten. Die darauffolgenden Tage erlebt Bangura als surreal. „Ademola hat kein einziges Mal geklagt, sondern gelächelt.“ Die dreifache Mutter, in deren Haushalt und Obhut Adenoah nach eigenem Wunsch mit Banguras Söhnen lebt, erzählt diese traurige Geschichte mit fester Stimme. Eine starke Frau, die auch die letzten Stunden an Okulajas Seite übersteht, ohne zu weinen. „‚Bist du okay?‘, war das Letzte, was er mich gefragt hat.“

Bangura und auch Dupuis erzählen Okulajas Geschichte, weil sie Angst haben, dass er in Vergessenheit gerät. Deshalb initiierten sie zusammen mit einem kleinen Kreis Berliner Freunde die Billboard-Aktion, die während der EuroBasket in der Berliner Chausseestraße zu sehen war. Und deshalb wollen sie auch, dass Okulajas letzte Ruhestätte kein anonymer Ort bleibt. Auf dem Waldfriedhof in Zehlendorf liegt sie. Ein massiver Eichenstamm trägt die Büste des Verstorbenen, die die Familie gemeinsam mit einem Skulpturisten und ganz viel Liebe zum Detail erschaffen hat. Bangura ist oft hier. Wenn es kalt ist und wie neulich der erste Schnee fällt, setzt sie ihm eine Mütze auf. „Wir hatten eine so schöne, achtsame Zeit zusammen. Er war ein einmaliger Glücksgriff für mich.“

Okulajas letzte Ruhestätte: Auf dem Waldfriedhof in Zehlendorf erinnert eine auf einem Eichenklotz stehende Büste an den Verstorbenen

Am 10. Juli 2022, dem Tag, an dem Okulaja 47 Jahre alt geworden wäre, organisierte sein Bruder Adekola Okulaja eine Gedenkfeier in einem Berliner Hotel. 150 enge Weggefährten aus Jugend, Business und Sport waren da. Bekannte Persönlichkeiten wie Mithat Demirel, Dirk Nowitzki, Antawn Jamison und Shammond Williams waren gekommen, um Okulajas Leben zu feiern. Wenig später hielt die BBL bei allen Heimspielen eines Spieltags eine Schweigeminute ab. Die Herren-Nationalmannschaft wiederholte diese Geste bei ihren WM-Qualifikationsspielen im Sommer und lief dabei mit einem Trauerflor auf den Trikots auf.

Das war’s, mehr Raum für organisierte Erinnerungen gibt es im deutschen Basketball nicht. Keine offizielle Trauerfeier, keine Hall of Fame, kein Erinnern. „Wenn ein Mensch nirgends mehr stattfindet, lebt er wirklich nicht mehr“, befürchtet Bangura. Deshalb erzählt sie von Ademola, und deshalb hat sie die Idee, einen Basketballcourt nach ihm zu benennen, noch nicht ad acta gelegt. Eigentlich wollten sie das schon längst gemacht haben, aber das deutsche Gesetz hat hierfür klare Regeln: Um eine Straße oder einen Ort nach einer Persönlichkeit zu benennen, muss diese bereits fünf Jahre tot sein.

Deshalb denken die Berliner Freunde auch darüber nach, etwas Neues zu schaffen. Einen Court, einen Treffpunkt für Jugendliche – in memoriam Ademola. „Wir wollen nicht aufgeben, nur weil der einfache Weg nicht geht“, sagt Dupuis. Eines ist sicher: „Ademola würde von oben herablachen, wenn es einen Court gäbe, der seinen Namen trägt“, sagt Bangura. Und damit würde sich ein Kreis schließen: Denn das Lachen des Warriors war schon zu Lebzeiten unwiderstehlich.

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Achtung: Highlight-Potenzial! https://big-basketball.com/2024/03/25/achtung-highlight-potenzial/ Mon, 25 Mar 2024 09:46:26 +0000 https://big-basketball.com/?p=7985 Das ALBERT-SCHWEITZER-TURNIER ist zurück, erstmals seit 2018 wird die inoffizielle U18-Weltmeisterschaft in Mannheim und Viernheim wieder ausgetragen. Der DBB-Nachwuchskoordinator Dirk Bauermann und Spieler des deutschen Premierengewinners von 2016 erklären die Faszination AST

 TEXT: MANUEL BARANIAK

Titelverteidiger Deutschland. Wenn die Basketball-Weltmeisterschaft der Männer 2027 ansteht, wird die DBB-Auswahl mit genau dieser Bezeichnung an den Start gehen. Doch schon in diesem Jahr trägt eine deutsche Mannschaft jenes Etikett des Gejagten am Trikot, mehr noch: Es steht sogar der Threepeat im Raum. Und zwar beim Albert-Schweitzer-Turnier.

Nach der coronabedingten Pause ist das renommierte, internationale Jugend-Turnier in Mannheim und Viernheim vom 30. März bis 6. April zurück. Bei der letzten Ausgabe 2018 holte die deutsche U18 um Turnier-MVP Jonas Mattisseck, dem aktuellen Weltmeister Franz Wagner und auch jetzt noch aufstrebenden Nachwuchsakteuren wie Ariel Hukporti oder Joshua Obiesie den Titel, nachdem bei der Ausgabe davor erstmals eine DBB-Auswahl das AST gewonnen hatte.

Teil jenes 2016er Teams war Kostja Mushidi, der zudem die MVP-Auszeichnung einstrich. „Ich hatte das noch nie zuvor in meinem Leben: dass ich vor Freude explodiert bin und geweint habe. Das war ein Gefühl, wirklich etwas geschafft zu haben“, erinnert sich der Flügelspieler des SYNTAINICS MBC in unserer Oral History (mehr dazu in BIG #126) – der damals durchaus mit Selbstbewusstsein ins Turnier gegangen war: „Ich hatte mit meinen Teamkollegen in Straßburg wie Frank Ntilikina eine kleine Wette am Laufen: dass ich mit der Goldmedaille zurückkommen würde.“

Diese gesunde Portion sportliche Arroganz sah Dirk Bauermann nicht, als er erstmals als Bundestrainer der A-Nationalmannschaft das Albert-Schweitzer-Turnier besucht und das deutsche Team beim Aufwärmen beobachtet hatte. Bauermann – beim DBB als Bundestrainer und Koordinator für den männlichen Nachwuchsbereich zurück – kann sich im Gespräch mit BIG nicht an das genaue Jahr erinnern, wohl aber, was er dort beobachtet hat: „Die Körpersprache gab nicht den Hinweis darauf, dass die Jungs mit der Erwartung ins Spiel gingen zu gewinnen – sondern eher mit der Angst vor der Niederlage“, macht Bauermann deutlich. „Da war mir klar, dass wir auch im Nachwuchsbereich einen Mentalitätswechsel brauchen.“

Deutschland – Greece, Dirk Nowitzki (li, hinten)
Albert Schweitzer Turnier in Mannheim, 
Fotograf: Bernhard Kunz

Daraufhin ist ein gemeinsamer Lehrgang der U16-, U18- und U20-Nationalmannschaften für fünf Tage am Ende der Vereinssaison eingeführt worden, bei dem „Grundpfeiler gezogen werden“, wie Bauermann es nennt. „Wir haben mit ihnen viel über Selbstvertrauen, Körpersprache und Einstellung gesprochen. Was es bedeutet, für das eigene Land zu spielen und deutscher Nationalspieler zu sein.“ Bauermann selbst gilt in diesen Jahren als Initiator der 6+6-Regel in der BBL, weitere Standards wie hauptamtliche Jugendtrainer folgen. Die Einführung der NBBL und JBBL trägt Früchte – bis in die Gegenwart, wo ein deutsches Team 2016 oder 2018 eben ein Albert-Schweitzer-Turnier gewinnen kann.

So geht Harald Stein, der U18-Bundestrainer beim AST-Titel 2016 und jetzige Sportdirektor der ungarischen Vasas-Kosarlabda-Akademie, in der Oral History auch genau dorthin zurück: „Der Schlüssel zum Turniererfolg liegt schon in den Jahren zuvor: dass wir als Trainer gemeinsam einen deutschen Weg, wie wir Basketball spielen wollen, und ein Konzept entwickelt haben. Dirk Bauermann war der Vorreiter, Kay Blümel hat diesen Weg als Nachwuchs-Bundestrainer bei den ,Talenten mit Perspektive‘ implementiert.“

Die Bezeichnung der Talente mit Perspektive trifft es auch beim Albert-Schweitzer-Turnier gut, treffen dort doch Nachwuchsnationalspieler aus aller Herren Länder aufeinander. In diesem Jahr ist das zwölf Team starke Teilnehmerfeld mit Nationen aus allen Kontinenten von Australien bis China, von Ägypten bis Argentinien besetzt. „Es gibt ja diese Euro Prospects Rankings, und Borisa Simanic war da immer in den Top 3, Top 4“, schneidet Richard Freudenberg den Vergleich an, den man als Nachwuchsspieler mit anderen Prospects zieht. „Natürlich dachte man sich: Ich bin das, nicht du. Man kennt sich von Jugendturnieren oder Camps wie ,Basketball Without Borders‘, hat dort eine coole Zeit und ist mit den Jungs befreundet – aber im Endeffekt ist es schon so, dass du ihnen in den Arsch treten willst.“ Da ist es wieder, dieses neue Selbstbewusstsein deutscher Nachwuchsspieler.

2024 wird die USA nicht dabei sein – zum ersten Mal überhaupt in der 66-jährigen AST-Geschichte. Für die US-Amerikaner passt das Turnier nicht mehr in den Terminkalender, schon bei den letzten Ausgaben waren nicht die besten US-Prospects dabei. Für Bauermann wiegt das gar nicht so schwer: „Für mich ist es eher schade, dass Spanien nicht dabei ist, die hätte ich gerne gesehen.“ Denn gerade der spanische Nachwuchs-Basketball gilt als das Nonplusultra, man erinnere sich: 2022 standen alle männlichen und weiblichen Nachwuchsteams Spaniens, acht an der Zahl, in einem Endspiel von Europa- und Weltmeisterschaften.

Den spanischen Nachwuchs-Basketball lernen aktuell auch zwei 17-jährige deutsche Spieler kennen, die (leider nicht) beim Albert-Schweitzer-Turnier auflaufen werden: Declan Duru, der 2021 bei Real Madrid unterschrieben hat, und Mathieu Grujicic, der im vergangenen Sommer von Berlin zum FC Barcelona gewechselt ist. Laut Bauermann – der die U17 als Bundestrainer betreut – wird Duru sicher dabei sein, bei Grujicic sei er positiv gestimmt. Duru war seiner Altersklasse schon immer athletisch voraus, hat sich mittlerweile auch basketballerisch entwickelt, wobei er am besten im Fastbreak aufgehoben ist. Grujicic deutet schon jetzt das Potenzial eines groß gewachsenen Kreativspielers an. Fehlen wird dem U17-Team derweil Davi Remagen, der am Knie operiert worden ist und seine Reha absolviert, in der Vorrunde aber kurz zum Team stoßen soll.

Zum ersten Mal seit 2010 tritt neben einer deutschen U18- also auch wieder eine U17-Nationalmannschaft beim AST an. Das hat einen einfachen, wie auch wichtigen Grund: Denn die U16-Auswahl qualifizierte sich im vergangenen Jahr durch den fünften Platz bei der EM für die diesjährige U17-WM. „Für die U17 bedeutet dieses Albert-Schweitzer-Turnier, sich zu zeigen, aber vor allem, sich als Mannschaft wiederzufinden, sich weiterzuentwickeln und sich auch für die WM vorzubereiten“, erklärt Bauermann, der dabei von Stephen Arigbabu als Assistant Coach unterstützt wird, der wie Harald Stein an der Vasas-Kosarlabda-Akademie arbeitet.

Die ganze Story lest ihr in BIG #137

]]> Zu Besuch bei Hotsch https://big-basketball.com/2024/02/28/zu-besuch-bei-hotsch/ Wed, 28 Feb 2024 13:41:09 +0000 https://big-basketball.com/?p=7864 Wembanyama, Musik und 47 Grad: Warum es sich lohnt, Holger Geschwindner in seinem Lieblingscafé zu treffen 
Text: David Hein | Fotos: Imago

Holger Geschwindner liebt Basketball. Das merkt man schon nach ein paar Minuten mit dem Mann, der vor allem als Mentor von Dirk Nowitzki bekannt ist. Aber es gibt noch so viel mehr über Geschwindner zu wissen – der ein Meister der Entwicklung des Spiels ist, das er liebt. Zunächst einmal hat der 78-Jährige kein richtiges Büro. Am einfachsten ist es, Geschwindner in seinem Lieblingscafé im Herzen Bambergs zu treffen. Geschwindner wohnt etwas außerhalb und kommt regelmäßig in die mittelalterliche Stadt, um mit Jugendlichen zu arbeiten – und jedem, der zuhören will, seine Sicht des Spiels zu vermitteln.

Der knorrige, schlaksige Geschwindner kommt in seinem Café an, geht nach hinten durch und bestellt Kaffee und Kuchen. Dann wartet er darauf, dass die Bedienung ihm einen Tisch in dem überfüllten Lokal zuweist, in dem viele Menschen auf einen Tisch warten. Sobald Geschwindner seinen Platz am Vierertisch eingenommen hat, ist die Gesprächsrunde für den Mann eröffnet, den manche für einen verrückten Professor des Spiels halten, das James Naismith 1891 erfunden hat.

Gekleidet in sein übliches legeres und abgenutztes langärmeliges Flanellhemd, ist Geschwindner einnehmend und leidenschaftlich, wenn er spricht. Er hat nicht nur Mathematik, Physik und Philosophie studiert, sondern verfügt auch über ein schier endloses Wissen über Naturwissenschaften und Musik. Einer der Hauptgründe, warum ich Holger Geschwindner treffen wollte, war, um mit ihm über Victor Wembanyama zu sprechen. Über den beeindruckenden NBA-Rookie, der die Liga mit seinen fast unmenschlichen Fähigkeiten im Sturm erobert und der Ende Juli 2021 für zehn Tage in Bamberg war, um zweimal täglich mit Geschwindner zu trainieren.

Victor Wembanyama in Action

„Wir haben uns gut verstanden und es hat viel Spaß gemacht zu sehen, wie schnell er begriffen hat, was die nächsten Schritte für ihn sind”, erinnert sich Geschwinder an die Zeit mit dem Star der San Antonio Spurs. Auf die Frage, ob er einen speziellen Plan für den französischen Youngster aufgestellt hatte, sagt Geschwindner: „Er ist zu uns gekommen, um sich individuell zu verbessern. Wir haben wie immer die wichtigsten Basketball-Grundübungen zum Aufwärmen gemacht, großen Wert auf eine präzise Ausführung gelegt und das Training natürlich auf seine besonderen Bedürfnisse abgestimmt. Das hat ihm sichtlich Spaß gemacht.“

Geschwindner spricht gerne über Wembanyama und glaubt an dessen große Zukunft, wie er auch schon in diversen US-Medien erklärt hat: „Dieser Junge hat das Potenzial, den Basketball erneut zu verändern.” Beim Interviewtermin ergänzt er diese Aussage mit den Worten: „Er versteht die Grammatik des Sports, was nicht sehr oft vorkommt. Ich denke, Victor könnte auch etwas Neues zur Weiterentwicklung des Sports beitragen. Er könnte über seine sehr vorteilhaften physischen Fähigkeiten hinaus etwas Kreatives einbringen oder alte, erfolgreiche Spielzüge wiederbeleben – wie zum Beispiel den Sky Hook, wenn er möchte.“

Sich mit Geschwindner zu unterhalten ist immer lohnenswert, schließlich spricht man mit einem Mann, der großen Anteil daran hatte, einen der wenigen Basketballspieler zu schaffen, der das Spiel in der NBA verändert hat. Die Rede ist natürlich von Dirk Nowitzki, der erste 2,13-Meter-Riese, der das Spiel trotz seiner Größe wie ein Flügelspieler interpretierte und damit den Basketball revolutionierte. Nowitzki war für große Jungs auf der ganzen Welt ein Vorbild und zeigte ihnen, dass sie nicht nur in Korbnähe bleiben müssen, um erfolgreich zu sein. Neben Geschwindner glauben auch viele andere, dass Wembanyama das Spiel auf ähnliche Art verändern kann.

Während mein Gespräch mit Geschwindner schon eine halbe Stunde läuft, setzen sich drei weitere Personen an den Tisch – erst einer, dann zwei weitere gleichzeitig. Ab und zu wechselt Geschwindners Aufmerksamkeit zu einem der Neuankömmlinge und er spricht mit ihnen über lokale Bamberger Themen. Das wirkt zunächst etwas merkwürdig, erklärt sich aber mit der Zeit. So ist Holger Geschwindner nun mal – wer ihn sehen und sprechen will, muss sich an seine Regeln halten. Und diese Regeln besagen: Komm vorbei, einen Kaffee können wir immer trinken.

„Er versteht die Grammatik des Sports, was nicht sehr oft vorkommt. Ich denke, Victor könnte auch etwas Neues zur Weiterentwicklung des Sports beitragen.”

Als die Fragen der Nachzügler beantwortet sind, richtet Geschwindner seine Aufmerksamkeit wieder auf Wembanyama. Gestochen scharf und so, als hätte nichts seinen Gedankengang unterbrochen, betont er, dass der 2,24 Meter große Franzose wirklich Geduld mit seinem Körper haben muss, um die nächste Stufe zu erreichen. „Er muss regelmäßig seine Hausaufgaben machen und sehr genau auf seinen Körper hören. Er spielt mit und auf einem sehr sensiblen Instrument“, sagt Hotsch, wie Geschwindner oft genannt wird. Kraftsport, sagt Geschwindner, sollte für Wembanyama, der erst am 4. Januar 20 Jahre alt geworden ist, derzeit eigentlich ein No-Go sein. „Man muss ihn sich nur ansehen. Die Schwäche seines Körperbaus wird es ihm nicht erlauben, ein normales Kraftprogramm lange durchzuhalten.“

Geschwindner glaubt fest daran, dass Menschen auch andere Interessen haben sollten und sagt, es sei sehr vielversprechend zu hören, dass Wembanyama in Interviews erklärt, er höre klassische Musik, zeichne und schreibe und baue sogar gerne mit Lego. „Ich hoffe wirklich, dass er auch all seine anderen Talente entwickelt und vielleicht versucht, ein Musikinstrument zu lernen“, sagt Geschwindner. Musik ist für Geschwindner ein vorherrschendes Thema. Er setzt Musik und Musiktheorie in vielen seiner Arbeiten mit Kindern ein.

Geschwindner hat inzwischen seinen Kuchen gegessen und seine Tasse geleert. Er bittet um einen zweiten Kaffee. Und er erzählt weiter von Wembanyama. Dass der bei den Spurs gelandet ist, sei perfekt für den jungen Franzosen, so Geschwindner. Wembanyama würde mit dem legendären Gregg Popovich zusammenarbeiten, der das internationale Spiel versteht und verehrt, da er mit vielen internationalen Spielern wie Tony Parker, Manu Ginobili und Boris Diaw gearbeitet hat. Geschwindner glaubt aber auch, dass jemand wie Wembanyama den 74-jährigen Popovich, einen fünffachen NBA-Champion, wiederbeleben wird.

Die ganze Geschichte über Holger Geschwindner und Victor Wembanyama lest ihr in BIG 136

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Mensch Moritz https://big-basketball.com/2024/01/31/mensch-moritz/ Wed, 31 Jan 2024 17:57:46 +0000 https://big-basketball.com/?p=7589 Appetizer des Monats Januar 2024

MORITZ WAGNER über die Effekte des WM-Erfolgs, sein Leben in der NBA und den Versuch, bei allem Hype das Menschliche in den Vordergrund zu stellen

Interview: Martin Fünkele

Moe oder Moritz?
Moritz! Der Moe ist nur für die Amis, die Moritz nicht aussprechen können.

Moe wird in Deutschland gerne genommen, weil es zu dem lustigen Typ passt, den du off court oft gibst. Wie wichtig ist dir dein Image?
Ehrlich gesagt, weiß ich nicht so recht, wie mein Image sich definiert. Ich bin ein großer Fan von Authentizität. Ich mache mir keine großen Sorgen darüber, was andere über mich denken. Das sagen viele, aber es ist ja auch ein menschlicher Instinkt, sich darüber Gedanken zu machen, wie man wahrgenommen wird. Ich versuche, meine Energie darauf zu konzentrieren, so rüber- zukommen, wie ich bin. Ich finde es auch im Basketballkontext wichtig, den Menschen zu zeigen, der man ist. In Interviews sind mir Standardfloskeln deshalb oft zu langweilig – ich bin eher der Frei-Schnauze-Typ.

Heißt das, du vermeidest bestimmte Situationen: PR-Auftritte, Social-Media-Aktivitäten – Bühnen, auf denen man sich profilieren kann?
Ich würde nicht sagen, dass ich solche Situationen meide, versuche aber immer dann, wenn ich in der Öffentlichkeit auftrete, den Menschen in den Vordergrund zu stellen. Im Sport wirst du ja dazu verleitet anzunehmen, dass das, was du tust, absolut alles ist. Das Leben besteht also nur aus Basketball, und die Loyalität zum Verein ist das Allergrößte. Als Profi habe ich aber schon erlebt, dass das ganz schöner Quatsch sein kann, weshalb ich immer versuche, das Menschliche zu betonen.

Du spielst momentan den besten Basketball deiner NBA-Karriere, punktest so viel wie nie, bist einer der effektivsten Center, die von der Bank kommen. Wie viel hat das mit der WM, mit einem größeren Selbstbewusstsein zu tun?
Einen Titel gewonnen zu haben, hat mir extrem viel gegeben. Um in einem Teamsport etwas zu erreichen, muss jeder sehr viel opfern: ob es um Zeit für dich, Zeit mit der Familie oder Zeit auf dem Court geht. Jeder muss Opfer bringen, weil es eben nicht funktioniert, wenn alle 30 Würfe nehmen. Das zu akzeptieren, auch wenn es nicht immer einfach ist, ist mir eigentlich schon immer ganz gut gelungen. Aber wenn du dann tatsächlich etwas Großes gewinnst, ist das noch einmal etwas ganz anderes: Durch diese Erfahrung verstehst du viel besser, worauf es ankommt – auch wenn die Trainer dir das über Jahre immer wieder erklärt haben. Für mich hatte das den Effekt, dass ich aktuell weniger hinterfrage und mehr Energie
darauf verwende, effizienter zu werden. Dazu kommt, dass ich extrem dankbar für meine Situation in Orlando bin, weil ich weiß, dass es auch ganz anders sein kann.

Du sagst es, du kennst auch den weniger spaßigen Teil deines Jobs: In der Saison 2020/2021 hast du in drei Teams (Washington, Boston, Orlando) gespielt, konntest nie sicher sein, wie es weitergeht. Was hat diese Zeit mit dir gemacht?

Im Nachhinein bin ich dankbar, dass ich das erlebt habe, weil es mir dabei hilft, meine aktuelle Situation wertzuschätzen. Dass ich mit Franz zusammenspiele, ist eine Sache, das andere ist, eine feste Rolle und eine Organisation hinter sich zu haben, die wirklich in dich investiert. Das ist in dieser Liga sehr, sehr viel wert. Ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, einen Job in der NBA zu haben. Diese Erfahrung gemacht zu haben, ist wertvoll für mich.

Was hast du in deinem Leben zuletzt aufgegeben, weil du den Spaß daran verloren hast? Ich merke immer ziemlich schnell, was mich begeistert und was nicht – das ging mir schon als Kind so. Wenn mich etwas packt, kann ich mich da voll reinstürzen, wenn nicht, lass’ ich es sein. Mit dem FIFA-Manager-Spiel geht es mir immer wieder so. Ich fange an, mit meinen Jungs zu zocken, bekomme eins auf die Mütze und werfe den Controller weg. Ein Gamer wird wahrscheinlich nicht mehr aus mir. Wer dich spielen sieht, merkt schnell:

Der Typ meint es ernst, der spielt immer hart. Woher kommt diese Freude,
sich reinzuhauen, Offensivfouls anzunehmen, die kleinen Sachen zu machen?

So zu spielen, kostet mich wenig Energie, für mich ist das etwas ganz Natürliches. Und ich liebe es einfach, Basketball zu spielen. Anstrengender ist es für mich, meine Energie in produktive Aktionen umzuwandeln. Wenn du so spielst wie ich, läufst du Gefahr, dich darin zu verlieren. Meine Energie zielgerichtet einzusetzen, ist etwas, woran ich gerne arbeite, was für mich aber anstrengender ist, als die pure Energie aufs Feld zu bringen.

Ist deine Rolle in Orlando mit der in der Nationalmannschaft vergleichbar?
Ja, das ist ganz ähnlich. Ich komme von der Bank, spiele so 20 Minuten und versuche,
die Zeit, die ich bekomme, sehr ernst zu nehmen. Ich will guten, strukturierten Basketball mit viel Energie und einer gewissen Aggressivität aufs Feld bringen. Die Rolle kann man vergleichen, die Art des Spiels nicht. Einerseits machst du 80, 90 Punkte, andererseits 120 – der Spielstil ist anders, meine Rolle aber ähnlich.

Moritz Wagner
geboren am 26. April in Berlin. Gab als 17-Jähriger für ALBA BERLIN sein Debüt in der Bundesliga und in der EuroLeague. Verbrachte drei Jahre an der University of Michigan und erreichte in seinem Abschlussjahr das Endspiel um die College-Meisterschaft. Anschließend wurde Wagner 2018 von den Los Angeles Lakers als 25. Spieler im NBA- Draft ausgewählt. Nach einem Jahr in LA folgten Stationen in Washington und Boston. Seit 2021 spielt Wagner in Orlando, gemeinsam mit seinem Bruder Franz. Für das Nationalteam lief Wagner 28-mal auf, wurde 2021 beim Olympia-Qualifikationsturnier zum MVP gewählt und 2023 Weltmeister.

Das ganze Interview mit Moritz Wagner lest ihr in der BIG #135

 

 

 

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30 Jahre nach dem EM-Wunder https://big-basketball.com/2023/07/04/appetizer-juli-2023/ Tue, 04 Jul 2023 08:02:15 +0000 https://big-basketball.com/?p=5486 Appetizer des Monats: Juli 2023. Europameisterschaft 1993.

Die Crunchtime des Jahrhunderts

Innenansichten eines EUROPAMEISTERS: über das Finale von München, über Qualen auf der Bank und einen Dreier, der ewig unterwegs war.

Text: Moritz Kleine-Brockhoff

Über unsere EM ’93 ist wahrscheinlich alles gesagt und alles geschrieben. Nur noch nicht von allen. Deshalb sind wir nun, knapp 30 Jahre nach dem Finale von München, ganz am Ende der Bank angekommen, also bei mir. Ich – Moritz, bei der EM-Endrunde keine Minute gespielt, Kleine-Brockhoff – soll erzählen, wie ich München´93 erlebte. Nun ja: sitzend halt. Von der Bank aus. Von dort hatte ich einen besonders guten Blick auf den letzten Wurf des Finales. Wir reden ja bis heute, durchaus zurecht, über den Dunk und den Freiwurf unseres EM-Helden Chris Welp, der 2015 viel zu früh starb. Mehr dazu später. Ich meine jetzt erstmal den allerletzten Wurf des Finales, das Ding nach dem Dunk und dem Freiwurf, das Ding, das der Russe Vladimir Gorin noch losließ. Er hatte, mit einer Sekunde auf der Uhr, einen good look.

Es war ein recht tiefer Dreier, aber er war machbar. Gorin lässt das Ding also fliegen, der Ball geht Richtung Korb, nice arc und so – und für mich steht plötzlich die Zeit still. Laut Video ist der Ball keine zwei Sekunden in der Luft. Für mich ist es eine Ewigkeit. Rechts neben mir sind an der Seitenlinie Mike Jackel, Stephan Baeck und der Alte, sprich Pesic. Alle stehen. Ich bleibe sitzen. Wir alle starren diesem grausam lange in Richtung Ring schwebenden Schicksal-Ball hinterher. Geht er rein, ist Russland Europameister. Dann würden wir die EM`93 heute vor allem mit einem Namen verbinden: Vladimir Gorin. Aber zum Glück kennt den niemand mehr. Zum Glück geht der Ball erst ans Brett, dann hinten an den Ring und schließlich was weiß ich wohin. Dann: nur noch Jubel. Wir sind Europameister. Erstaunlich an diesem letzten Wurf war auch, dass Chris Welp – transition defense war nun wirklich nicht sein Ding – dieses eine Mal tatsächlich zurückgesprintet war. Er störte Gorin, ohne ihn zu foulen. Irre.

Held Kai Nürnberger

Die EM-Endrunde in München brachte einige Überraschungen. Für mich zum Beispiel, dass meine besten Freunde aus Köln und aus Essen nicht kamen, um zuzuschauen. „Eine Narbe“ nennt mein Kumpel Schappy, durchaus ein Basketball-Freak, den kleinen Skandal heute. „Wir glaubten nicht, dass ihr gewinnen könntet.“ Fairerweise: das glaubte niemand. Wir hatten mit Ach und Krach die Vorrunde in Berlin überlebt. Beim Viertelfinale gegen Spanien war die Halle in München halb leer, beim Halbfinale gegen Griechenland war sie voller Griechen. Aber dann, mit unseren back-to-back Siegen im Rücken, vor dem fast ausverkauften Endspiel gegen Russland, da dachten wir: Warum nicht? Mein Bruder Thomas – Zug aus Hamburg, Spiel geschaut, Nachtzug zurück, morgens wieder im Büro – kam zum Endspiel. Da saßen wir dann also, er irgendwo weit oben und ich unten auf der Bank, und träumten von der Sensation.

Foto: imago/Oliver Behrendt

Es war ein hässliches Spiel. Eine low-scoring Defense-Schlacht mit 40 Fouls, die am Ende einen Helden brauchte. Ich sah drei. Natürlich Chris Welp. Und Henrik Rödl, der 45 Sekunden vor Schluss den wichtigsten Block seines Lebens hatte. Der allergrößte Held war für mich Kai Nürnberger. Er sorgte in den letzten drei Minuten für fast alle acht Punkte, die wir noch machten. Erst Kais and-one-drive bei fünf Punkten Rückstand, dann sein drive zum Ausgleich. Babkov trifft zwei Freiwürfe, wir sind wieder zwei hinten. Dann Kais Antwort ein paar Sekunden vor Schluss: er zieht links an Bazarevic vorbei, Michajlov muss helfen, Kai legt ab auf Chris für den Dunk, der Geschichte schrieb. Drei scores, alle plays von Kai. Kein set-play dabei, alle drei kreiert. Das musst Du erstmal bringen. In der, aus deutscher Sicht, Crunchtime des Jahrhunderts. In drei Minuten, die darüber entscheiden, ob Du als Spieler unsterblich oder vergessen wirst. Wahnsinn.

Der Dunk

Nun zum Dunk. Da muss ich ausholen. Als Chris Welp Mitte der 80er bei den Washington Huskies in Seattle College spielte, war ich ein paar Kilometer entfernt auf der High School, auf der zuvor auch Chris gewesen war. Ich fuhr zu seinen NCAA-Heimspielen, wollte ihn spielen sehen. Chris war in shape. Er machte 20 im Schnitt. Er dunkte, wie er wollte. Nach Spin-moves im low-post, nach Rebounds, nach drives. Von vorne, von der Seite, reverse. Dazu hatte Chris unfassbar gute Hände. Und er konnte schießen, passen, rebounden. Er konnte alles. Später, in der NBA, in seiner Rookie-Season bei den 76ers, änderte sein Kreuzbandriss vieles. Chris´ Knie kam nie wieder so richtig in Ordnung. Damit war er nicht mehr der alte. Er sprang nicht mehr, jedenfalls nicht mehr nennenswert. Er sprintete nicht mehr. Er kam nicht mehr in shape. Aber weil Chris immer noch ein Big Men mit crazy skills war, blieb er einer der besten Center Europas. Ich habe Anfang der 90er Jahre vier Jahre lang mit ihm in Leverkusen gespielt. Ich kann mich an smoothe jumper erinnern und an brutale Blocks, die er setzte. An geile Pässe und an seine Auto Motor Sport Magazine im Bus nach Bamberg oder sonstwo hin. Aber ich kann mich in den vier Jahren in Leverkusen an keinen nennenswerten Dunk von Chris erinnern. Nicht im Spiel, nicht beim Warmmachen und schon gar nicht im Training. Er hatte Sorge um sein Knie. Und dann, an jenem 4. Juli 1993 in München, nach sechs Jahren ohne Dunk in traffic, kriegt Chris also fünf Sekunden vor Schluss und zwei Punkte hinten im EM-Finale unterm Korb diesen Ball von Kai gesteckt. Mikhail Michajlov, immerhin 2,07m, ist in der Nähe. Es ist klar, dass er alles versuchen wird, Chris hart zu foulen, ihn nicht scoren zu lassen, sondern an die Linie zu schicken. In diesem Moment, diesem Career-defining Alles-oder-Nichts-Moment, in diesem Bruchteil einer Sekunde, in dem Chris entscheiden und machen muss, da ist plötzlich kein Zögern, kein Überlegen, kein Zweifel. Ihm ist, das erzählte er mir später, sofort klar: „Jetzt musst Du stopfen.“ Und er zieht das Ding tatsächlich durch! And one! Dass Chris den Freiwurf trifft, war uns allen klar. Er war cool.

Das ewige Rumschreien des Alten

Bei der EM-Endrunde auf der Bank zu sitzen, war Qual. Ich wollte spielen, wollte helfen, wollte etwas dazutun – durfte aber nicht. Ich hatte, wie jeden Sommer, diese wochenlange, elendige Schufterei mitgemacht: Trainingslager in der Pampa, in Bad Griesbach. Dutzende, harte Einheiten, dann Flugzeug hier, Bus da, nächstes Spiel dort. Das ewige Rumschreien des Alten. Dafür sind wir ihm, Pesic, heute dankbar. Damals hat es genervt. Die Hotelzimmer, die fürchterlich stanken, weil Henrik Rödl und ich es damals cool fanden, unsere nassen Trainingsklamotten irgendwo hinzuschmeißen, statt sie aufzuhängen. Die Pferdeküsse, die Zerrungen und die dicken Knöchel nach Umknicken, die ich mir nicht anmerken ließ, weil ich meinen Platz in der EM-Mannschaft nicht verlieren wollte.

Bei der EM bekam ich in der Vorrunde in Berlin ein paar Minuten Garbage-Time gegen Belgien, traf zwei irrelevante Freiwürfe. Das war´s. Verstehen, dass ich auf der Bank saß, konnte ich schon. Ich war kein grandioser Basketballer. Ich konnte überhaupt nicht schießen. Ich war zu klein, um auf EM-Level inside was auszurichten. Ich konnte nicht besonders passen. Handle? Null. Dass ich immer nach rechts zog – immer all the way, weil ich keinen pull-up jumper hatte – das wusste jeder. Zum Glück gab es damals keine Statistik, die meine Offensiv-Fouls, wahrscheinlich Hunderte, erfasste. Bei 38 Länderspielen bin ich nur ein Mal wirklich aufgefallen: 1989 vor einem Spiel gegen Griechenland in Wuppertal, als ich beim Warmmachen per Dunk das Backboard shatterte. Das fanden zunächst alle cool – high five und so – nervte aber letztlich, weil es gefühlte zwei Stunden dauerte, bis ein neues Brett hing und das Spiel endlich losgehen konnte.

Unangenehme Beißer-Defense

Dass mich jemand in seine Mannschaft holte, hatte wenig glamouröse Gründe. Ich wollte gewinnen wie kaum ein anderer und tat so ziemlich alles dafür. Ich war in shape, schnell und brutal. Wenn ich zum Korb zog, musste man sich sehr gut überlegen, ob man tatsächlich das Charge nehmen wollte. In transition hatte ich sogar ein, zwei Moves – crossover, hesitation – da war ich nicht so leicht zu stoppen. Meine wahre Stärke war jedoch eine fiese Beißer-Defense, die schlicht unangenehm war. Es machte überhaupt keinen Spaß, gegen mich zu spielen. In Leverkusen war es mein Job, als sechster Mann einen Energieschub von der Bank zu bringen und in der Defense den besten Angreifer auf dem Flügel zu stoppen. Dass ich das ganz gut draufhatte, wusste auch Pesic. Er kannte mich seit Mitte der 80er Jahre. Damals, als wir 15 bis 17 Jahre jung waren, hatte seine legendäre Jugoslawien-Juniorenmannschaft (Kukoc, Divac, Radja) uns Deutsche (Harnisch, Rödl, Kleine-Brockhoff) bei zwei Europa- und einer Weltmeisterschaft unbarmherzig abgezogen, sprich mit 30 nach Hause geschickt. Als Pesic dann unser Bundestrainer wurde, setzte er mich manchmal als defensiv-enforcer ein, um einen Spieler zu stoppen, der heiß gelaufen war. Auf den Moment wartete ich auch bei der EM in München. Ich war ready. Aber der Moment kam nicht. Das ist irgendwie schade, aber im Nachhinein nicht schlimm. Wir haben gewonnen. Das war und ist schön.

Für mich war es schon ein Erfolg, ´93 überhaupt in der EM-Mannschaft zu sein. Vor großen Turnieren wurden 15 Spieler ins Trainingslager eingeladen. Drei fliegen raus. 1992 hatte ich mir eigentlich einen Platz in der Mannschaft erkämpft, die später bei Olympia in Barcelona gegen das Dream-Team spielte. Detlef Schrempf war nicht ins Trainingslager gekommen, er wollte den Sommer frei machen, hatte abgesagt. Dann überlegt er es sich anders und kommt doch – und ich fliege deshalb aus der Mannschaft. Gut: Ohne Detlef wäre die Olympia-Quali in Murcia nicht unbedingt gelungen. Er war ein großartiger Spieler und ich, well, ich war es nicht. Aber Pesic hätte jemand anderen streichen können. Hat er aber nicht. Er strich mich. Dieser cut, durch den ich Barcelona´92 verpasste, bleibt die bitterste Enttäuschung meiner Karriere. Eine Narbe. Ich flog auf die Malediven, wo es damals keine Fernseher gab. Die Olympia im TV zu sehen, hätte ich nicht ertragen. Ich habe mir bis heute keine Minute angesehen.

Das EM-Ticket

Nur drei Monate nach den Spielen, im November 1992, schlug dann unverhofft meine Stunde. Wahrscheinlich erinnert sich kaum noch jemand daran, dass wir uns – Austragungsland hin- oder her – für die EM‘93 qualifizieren mussten. Wir hatten drei Spiele gewonnen, aber in Israel und in Polen verloren. Nun mussten wir im letzten Quali-Spiel, in Aachen gegen Portugal, unbedingt gewinnen, um zur EM zu kommen. Der DBB war hochgradig nervös: eine EM im eigenen Land ohne die deutsche Mannschaft? Katastrophe. Vor dem alles entscheidenden Quali-Spiel in Aachen: Mike Koch verletzt. Mike Jackel verletzt. Henrik Rödl verletzt. Und so musste ich ran. Besser gesagt: ich durfte.

Zwar wünscht man natürlich niemandem Verletzungen. Aber das Spiel gegen Portugal war die Chance, auf die ich lange gewartet hatte. Und als sie da war, dachte ich nur: JETZT! Und so habe ich dann, zum Glück, auch gespielt. Henning Harnisch und Stephan Baeck fingen an, ich kam recht früh in der ersten Halbzeit von der Bank, machte letztlich 11 Punkte in 18 Minuten und wir gewannen. Nicht, dass ich das Spiel rumgerissen hätte. Am Ende war es ein 40 Punkte blow-out. Aber ich hatte, als es drauf ankam und dieses verdammt wichtige Spiel noch nicht entschieden war, etwas dazugetan. Nach dem Spiel starrte ich den Alten – den Pesic, der mich aus der Olympia-Mannschaft gestrichen hatte – lange mit einem mega-ernsten Blick an. Ich war sozusagen in his face, was man nun wirklich nicht machte, weil wir so eine Ehrfurcht vor ihm hatten. Schließlich hat Pesic – kein Mann der positiven Geste – mir ganz kurz zugenickt. Da wusste ich: der Sieg in Aachen bedeutete nicht nur Deutschlands EM-Ticket, sondern auch meins. Ich feierte mit meinen Kumpels, die aus Köln gekommen waren. Einer von ihnen, Castello, trug sich zunächst, bereits ordentlich angetrunken, bei einem Empfang ins Goldene Buch der Stadt Aachen ein. Später tranken wir in Köln in einer Eckkneipe weiter, im EWG. Ich werde den Tag nie vergessen.

Lebenslang Europameister

Dann, ein gutes halbes Jahr später, die EM in Berlin und München. Ich bin tatsächlich dabei. Dass wir nach dem Finale beim Feiern in München mit einer Ausnahme ziemlich versagten, ist bekannt. Nur Henning Harnisch hatte offenbar eine ordentliche Party-Nacht, wobei die genauen Umstände nebulös bleiben. Wir anderen, wir waren alle fürchterlich müde, völlig ausgelaugt. Dafür haben wir später so oft auf den Titel angestoßen, dass es keiner mehr zählen kann. Zudem treffen wir uns bis heute immer bei runden Jubiläen. Auch demnächst, zum 30. im kommenden Jahr. Damals, ´93, dachte ich, man ist Europameister und mit der nächsten EM wird es jemand anders. Aber es hat sich herausgestellt: man trägt den Titel lebenslang. Lebenslang Europameister. Selbst so einer wie ich, der nur auf der Bank saß.

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Spiel des Lebens https://big-basketball.com/2023/01/04/appetizer-januar-2023/ Wed, 04 Jan 2023 10:29:24 +0000 https://big-basketball.com/?p=4141 Appetizer des Monats: Januar 2023. Yassin Mahfouz.

Spiel des Lebens

Yassin Mahfouz hatte einen Traum: Basketballprofi werden. Das Problem: Nichts schien zusammenzupassen. Bis sich nach jahrelangem Puzzeln doch alles fügte.

Text: Florian von Stackelberg

Es ist ein warmer Samstagabend im September 2022 in Ägypten, als Yassin Mahfouz sagt: „Für die meisten in meiner Situation ist der Zug schon lange abgefahren. Für mich geht es gerade erst los.“ Zu diesem Zeit-punkt ist er 28 Jahre alt, seit wenigen Wochen ist die Tinte unter seinem ersten Vertrag als Profibasketballer trocken. Von Berlin nach Alexandria, vom Amateur zum Profi bei Ashab Aljead, vom Puzzle zum Bild – ein Spätberufener.
Sein Karriere-Puzzle zeigt die Härte des Geschäfts, verkanntes Talent und echte Freundschaft. Es zeigt, wie wichtig es ist, Träume zu bewahren, Selbstbewusstsein aufzubauen und auch in schweren Phasen nicht aufzugeben. Und dass man vieles von dem, was passiert, nicht versteht – bis plötzlich alles zusammenpasst. Mahfouz ist 1,93 Meter groß und wiegt 105 Kilogramm, harte Muskeln, weiches Händchen. Dazu hat er einen Zug zum Korb wie eine Kanonenkugel. Und er ist einer, der Feuer fangen kann, und einer, der andere entzünden kann – mit Aktionen, mit Defense und mit Emotionen. Kurz: ein Spielertyp, den theoretisch jedes Team braucht.

„Ich wollte schon immer Basketballprofi werden. Und ich habe auch nie daran gezweifelt, das zu schaffen“, sagt der mittlerweile 29-jährige Forward. Objektiv betrachtet lag in der Retrospektive das Aufhören oft näher als das Weitermachen. Aber: „Er ist eine Kämpfernatur, loyal, ein aufrichtiger Supertyp, der sein Herz auf dem Court lässt“, beschreibt ihn Dia Soliman. Der Gründer des Street-ball-Teams Der Stamm ist eines der wichtigen Puzzleteile in Mahfouz’ Profikarriere. Dazu später mehr.

Zunächst gilt es zu klären: Wie kommt ein Berliner auf die Idee, in Ägypten Basketballprofi zu werden? Vorweg: Es ist zunächst ein recht klassischer Weg. Der zehn Jahre ältere Bruder Adnan nimmt ihn mit zum Basketball, er spielt über die gesamte Jugend auf anspruchsvollem Niveau, unter anderem mehrere Jahre mit Maodo Lo im Team. Er wächst bei der Mutter in Berlin auf, der Vater ist Ägypter – was später noch ein wichtiges Puzzleteil wird. Aber ein paar Familienbesuche in Kairo bereiten ihn kaum auf das vor, was ihn später erwartet.
Er ist kein klassischer Streetballer, zockt aber bei Turnieren mit. Unter anderem gewinnt er in Berlin das Red Bull King of the Rock, ein Eins-gegen-eins-Turnier. Man könnte das als Initialzündung beschreiben, ohne dass er oder irgendjemand anderes das zu diesem Zeitpunkt wissen konnte. Denn in dieser Turnierserie lernt er Dia Soliman kennen, der damals noch selbst spielt.

Mahfouz’ Weg führt ihn erst mal weiter im Hallenbasketball, 2014 bekommt er ein Angebot vom damaligen Zweitligisten NINERS Chemnitz, spielt in 13 Spielen in der ProA aber nur etwas über vier Minuten im Schnitt. Nach einem Jahr zieht er weiter nach Wolfenbüttel in die ProB und kommt dort auf gut 20 Minuten, dazu darf er beim Profikader der Löwen Braunschweig mit trainieren. Nach zwei Saisons und mit mittlerweile fast 24 Jahren ist er vom Talent zum Kaderfüller geworden, der Profizug scheint ohne Mahfouz abzufahren.
„Ich kann es mir nicht erklären, weshalb die Coaches mein Talent nicht erkannt haben. Ich war immer ein unkonventioneller Spieler und habe vielleicht nicht in die Schablone des Talentes gepasst“, sagt Mahfouz. Dia Soliman sagt: „In Deutschland wird bei Talenten oft nach dem Ist-Zustand und nicht nach dem Kann-Zustand bewertet. Dadurch werden die Leute nicht gefördert, die sich später entwickeln können, sondern die, die gerade gut sind.“

Er wechselt nach Koblenz, zu einer ambitionierten Mannschaft in der 1. Regionalliga, weil er dort beim Sponsor ein duales Studium absolvieren kann. Er geht um 5 Uhr ins Fitnessstudio und kommt um 23 Uhr nach Arbeit und Training nach Hause. Obwohl es sportlich läuft und Koblenz in diesem Jahr in die ProB aufsteigt, merkt Mahfouz, dass der Trend für ihn keineswegs mehr in Richtung Profi zeigt.
Corona kommt und Yassin Mahfouz entscheidet sich, verstärkten Fokus auf eine andere Form des Basketballs zu legen: Mittlerweile ist er jeden Sommer bei Der Stamm im 3×3 im Einsatz, mit Spielern wie Kostja Mushidi, Eddy Edigin oder Kevin Yebo. Zwei Jahre lang spielt er ausschließlich im 3×3, ist auf der World Tour unterwegs. Der Profibasketball im klassischen Sinne rückt in noch weitere Ferne. In dieser Zeit, erzählt Soliman, „ist eine Freundschaft gewachsen“. Erst als Mitspieler, später als Coach und dann als Mentor. Gleichzeitig fangen die Puzzlestücke langsam an, sich zu fügen: Auf einem der World-Tour-Stopps im 3×3 ist auch ein Team aus Ägypten dabei, das erfährt, dass Mahfouz einen ägyptischen Vater hat. Die 3×3-WM steht kurz bevor, und das Team aus Nordafrika möchte Yassin Mahfouz dank der von ihm gezeigten Leistungen bei Der Stamm als Spieler dabeihaben. Es gibt allerdings zwei Probleme: Mahfouz hat keine ägyptische Staatsbürgerschaft und, das stellt sich später heraus, muss mindestens ein Jahr einen ägyptischen Pass besitzen, um im 3×3 für die Nationalmannschaft spielen zu können. Folglich kann er nicht spielen.

Aber: Es ist der Keimling einer bedeutenden Idee. Aus dem Kontakt zu den Spielern des ägyptischen Nationalteams erwächst der Gedanke, doch noch Profi werden zu können: im klassischen Fünf-gegen-fünf! Und hier kommt Dia Soliman wieder ins Spiel, der in Aachen geborene Basketballspezialist hat nicht nur zwei aus Ägypten stammende Eltern-teile und spricht perfekt Arabisch mit ägyptischem Akzent – er hat vor 20 Jahren auch selbst als Profi in Ägypten gespielt und noch gute Kontakte in die dortige Basketballszene. Das Puzzle setzt sich weiter zusammen: In der nationalen Liga Ägyptens gibt es eine scharfe Ausländerregelung, die nur einen Importspieler pro Team erlaubt. Was Yassin Mahfouz, mittlerweile mit der ägyptischen Staatsbürgerschaft ausgestattet, ganz plötzlich sehr wertvoll macht.
Dia Soliman übernimmt die Spielerbe-ratung von Mahfouz. „Yassin wollte unbedingt Profi werden, er hätte das erstbeste Angebot angenommen“, erzählt Soliman. Der Mentor kennt die ägyptische Mentalität gut und weiß, dass Verhandlung ein wichti-ger Teil davon ist. Also wartet er auf das richtige Angebot und vermittelt Yassin Mahfouz an Ashab Aljead in Alexandria. Einen Verein aus dem Tabellenmittelfeld, in dem seine Rolle groß und trotzdem Platz zum Hineinwachsen ist – Mahfouz unter-schreibt mit 28 Jahren seinen ersten Profivertrag und scheint das Puzzle gelöst zu haben.

Die Euphorie ist groß im Spätsommer dieses Jahres, als die Reise beginnt – doch das Puzzle muss zusammen-gehalten werden, die Kehrseite des Profitums kommt mit voller Breitseite: Er spricht weder Arabisch noch kennt er den athletischen, unsortierten Spielstil oder die Teammates. Das Heimweh nach seiner in Berlin leben-den Frau frisst ihn auf: Morgendliche Tränen und die Frage, ob es das alles wert ist, begleiten ihn über Wochen. Hinzu kommt: Sein Team hat meistens nur einmal am Tag Training, Basketball bietet kaum Ablenkung: „Ich hatte 22 Stunden am Tag frei und keine Ahnung, was ich damit anstellen sollte“, erzählt Mahfouz. „Mir wurde erstmals klar, wie sich die Amerikaner fühlen, mit denen ich früher in Deutschland zusammengespielt habe“, sagt er. Er hat so lange dafür gekämpft, Profi zu sein, also legt er sich Taktiken zurecht, wie er aus seiner mental schlechten Verfassung herauskommt. „Ich lerne daraus, ich werde aus dieser Situation stärker“, ist eines seiner Leitmotive in dieser Zeit. Dazu organisiert er sich selbst den Alltag eines Profis, um sich abzulenken und um besser zu performen. Allmorgendlicher Shootaround auf dem Außencourt seines Klubs, Fitnessstudio, Training und Regeneration.
Der Saisonstart ist vielversprechend, seine Leistungen als Führungsspieler überzeugen auf Anhieb – bis die Verletzungen beginnen. „Hier herrscht ein anderer Druck.

Wenn du krank oder verletzt bist, dann erwartet jeder, dass du trotzdem spielst“, sagt er. Nach einem gestauchten Zehengelenk ist er wieder besser in Form, bis ein Bluterguss im Hand-gelenk ihn einschränkt. Kurz vor einer Partie hält es der Teamarzt für eine gute Idee, das Handgelenk schmerz-frei zu spritzen – ein anaphylaktischer Schock während des Spiels ist die Folge, mit erneut längerer Ausfallzeit. Mittlerweile ist er angekommen in Ägypten. Er habe daraus gelernt, dass man einen größeren Fokus auf sich und seine Gesundheit legen müsse als in Deutschland, sagt er. Medikamente werden inflationär verschrieben, Verletzungen nicht auskuriert, Leistungsdruck mit der Androhung einer Verweigerung der Auszahlung des nächsten Monatsgehaltes erhöht und hoch gehalten. Und das in einer extrem physischen Liga, in der das Leistungsgefälle zwischen BBL-Niveau und unterer ProB liegt. Zu den absoluten Top-Teams in ganz Afrika gehört Al-Ittihad, wo der frühere Bundestrainer Henrik Rödl aktuell coacht. Bei diesen Top-Klubs werden Gehälter gezahlt, die in Deutschland nur von ALBA oder Bayern gestemmt werden könnten, im mittleren fünfstelligen Bereich – pro Monat! Dazu gibt es internationale Top-Spieler, gute Trainingsbedingungen und die Basketball Africa League – das afrikanische Pendant zur EuroLeague, das stark von der NBA gefördert wird, mit Großsponsoren wie Nike, Air Jordan und Pepsi.

Dort tummeln sich Talente. Das wäre eine nächste Station, die sich Yassin Mahfouz vorstellen könnte. „Viele in der Liga schauen auf mich, weil ich quasi aus dem Nichts gekommen bin“, sagt er.
Und auch das liegt in seinem Horizont: die Nationalmannschaft Ägyptens. „Die braucht noch einen Sieg in den nächsten drei Spielen, um sich für WM 2023 zu qualifizieren“, erzählt er – und man erkennt sofort seinen Gedankengang: „Vom Niveau her könnte ich dort mitspielen, meine Chance erarbeite ich mir über die Liga.“ In einem schwer zu durchschauenden Ligasystem bastelt er an einer erfolgreichen Saison als Go-to-Guy, um sich auch für diese höheren Ziele zu empfehlen. Es ist dieser eiserne Wille von Yassin Mahfouz, seinen Traum weiterzuleben. Ein Spätstarter mit Visionen und Träumen, der nicht lockerlässt, weil er sich selbst bewiesen hat, dass er diese auch erreicht. Wenn auch erst im zweiten oder dritten Anlauf. Aber er erreicht sie! Und falls nicht, hätte er auch eine Back-up-Perspektive: „Er ist bei Der Stamm in einer Familie angekommen, wir haben auch noch einen Job für ihn, wenn er 50 ist“, sagt Mentor Soliman.

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Der Kleinste ist wieder Alte https://big-basketball.com/2022/12/01/2008/ Thu, 01 Dec 2022 11:20:54 +0000 https://big.webdunk.net/?p=2008 Appetizer des Monats: Dezember 2022. TJ Shorts.

Der Kleinste ist wieder Alte

TJ Shorts lieferte in der vergangenen Spielzeit für die HAKRO Merlins Crailsheim eine überragende Saison ab, ehe er durch eine schwere Brustmuskelverletzung ausgebremst und dadurch womöglich um den MVP-Titel gebracht wurde. Nach seinem Wechsel zu den Telekom Baskets Bonn könnte er sich dort nun zum besten Spieler der Liga krönen – wenn nicht wieder etwas dazwischenkommt.

Interview: Alex Büge.

Plötzlich wird es ganz still in der Vijf Meihal im niederländischen Leiden. Nach der Unterbrechung der FIBA-Europe-Cup-Viertelfinalpartie zwischen den HAKRO Merlins Crailsheim und ZZ Leiden sind nur vereinzelte Fans zu hören. Denn die Zuschauer haben ein Gespür dafür, was gerade passiert ist. Schon mehrere Minuten liegt Aufbauspieler TJ Shorts nun auf dem Boden. Er krümmt sich, schreit immer wieder vor Schmerzen. Dabei war er Mitte des dritten Viertels nach einem Ballverlust eigentlich nur nach hinten gerannt und hatte versucht, Gegenspieler Worthy De Jong den Ball beim Korblegerversuch aus den Händen zu schlagen. Sekundenbruchteile später schoss ein stechender Schmerz durch seinen rechten Brustmuskel, ehe Shorts hinter der Korb-anlage zu Boden sank. „Es war wohl ein ungewöhnlicher Winkel“, erinnert sich der US-Guard gemeinsam mit BIG an die Situation, die sich am 16. März ereignete. „Normalerweise passiert eine solche Verletzung eher beim Krafttraining. Es war einfach ein sehr unglücklicher Moment.“ Wie schwer seine Verletzung tatsächlich war, erfuhr der 25-Jährige allerdings erst am nächsten Tag. Sein Brustmuskel war komplett gerissen, eine Rückkehr während der Saison ausgeschlossen. Eine Hiobsbotschaft – für ihn selbst, die HAKRO Merlins Crailsheim und die BBL. Schließlich war Shorts bis zu diesem Zeitpunkt der heißeste MVP-Kandidat der Saison. Dank 20,6 Punkten, 3,4 Rebounds, 7,0 Assists und 1,9 Steals pro Spiel lag sein Team zum Zeitpunkt der Verletzung klar auf Playoff-Kurs. Mehr noch: Shorts führte die Merlins ins Pokalfinale und damit zum größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Entsprechend frustriert war der quirlige Guard nach der Diagnose. Sein MVP-Traum platzte, die Crailsheimer Playoff-Hoffnungen ebenfalls. „Es war natürlich sehr frustrierend. Wir haben eine großartige Saison gespielt und hätten noch mehr erreichen können“, sagt Shorts. „Trotzdem habe ich versucht, positiv zu bleiben und das Beste aus der Situation zu machen.“

Allerdings war das für den basketballenthusiastischen Shorts phasenweise alles andere als einfach. Immerhin musste er sich nach der nötigen Operation in einem Krankenhaus nahe München drei Monate lang auf die Rehabilitation seines rechten Brustmuskels konzentrieren. An sport-artspezifisches Training war dabei zunächst nicht zu denken, vielmehr musste Shorts in den ersten Wochen eine Armschleife tragen, die seine Muskulatur entlastete und seine Bewegungen einschränkte. Seine Psyche war gefragt – viel-leicht mehr denn je.

Denn Shorts musste sich zurück kämpfen, wochenlang. Eine Phase, während der er enorm von der Unterstützung seiner engsten Freunde und seiner Familie profitierte. „Es war definitiv tough, den Sport, den ich so sehr liebe, während der restlichen Saison und auch danach nicht ausüben zu können“, blickt Shorts zurück.  „Bis Anfang Juli konnte ich mit dem Basketball nicht trainieren. Vorher ging es für mich vor allem darum, die Beweglichkeit wieder zurückzuerlangen und in dem betroffenen Bereich wieder stärker zu werden.“

Im Juli konnte Shorts dann endlich sein Come-back auf dem Court feiern. Zusammen mit seinem langjährigen Freund und Trainer Maurice Aguliar brachte er sich zunächst wieder in Form, um anschließend akribisch an seinem Spiel zu arbeiten. Dabei legte Shorts aber nicht nur Wert darauf, sein zuletzt etabliertes Level zu erreichen. Stattdessen war er einmal mehr gewillt, sein Offensivrepertoire zu erweitern, um für die gegnerischen Verteidigungen trotz seiner verhältnismäßig geringen Körpergröße von 1,75 Metern noch schwerer ausrechenbar zu sein. Dementsprechend verfügt Shorts über ein großes Arsenal an Abschlussmöglichkeiten. Unzählige Ballhandlingdrills, diverse Korblegervarianten, Floater, Mitteldistanzwürfe aus vollem Lauf, Stepback-Dreier. Shorts ging jeden erdenklichen Move Hunderte Male durch. „Coach Moe hat mein Spiel studiert und alles auf Video auseinandergenommen“, erklärt Shorts seine spezielle Workoutroutine in der diesjährigen Offseason.

„Er hat wieder Bereiche gefunden, in denen ich wirklich angreifbar bin und die ich verbessern musste. Dabei ging es unter anderem auch darum, dass ich meine Reaktionsschnelligkeit und meine Entscheidungsfindung verbessere.“ Verfolgt wurde dabei stets ein Ziel: „Wenn ich in ein Spiel starte, soll mich nichts mehr überraschen“, sagt Shorts, der seine Profikarriere im lettischen Ventspils startete und anschließend in Hamburg und Crailsheim aktiv war. „Stattdessen habe ich die verschiedensten Möglichkeiten, um zu einem guten Abschluss zu kommen.“

Im Kraftraum verbrachte Shorts in diesem Sommer hingegen weniger Zeit, da seine Verletzung ein hartes Training für den Oberkörper lange Zeit schlichtweg nicht zuließ. Sein Fokus lag eher darauf, von seiner enormen Schnelligkeit möglichst nichts einzubüßen. „Ich habe viel an meinen Beinen gearbeitet, um die Sprungkraft zu haben, die ich brauche, um zum Korb zu gehen und dort über Big Men abschließen zu können“, sagt Shorts, der nicht nur wegen seiner Körpergröße akribischer an seinem Spiel feilen will als die Konkurrenz. „Ich arbeite so hart, weil ich besser werden will als jeder andere Spieler. Deswegen versuche ich in der Offseason immer das Optimum aus mir herauszuholen.“ Durch seine Verletzung sei er zunächst zwar ein wenig zurückgeworfen worden, doch inzwischen sei er wieder komplett fit. „Ich bin wieder bei 100 Prozent und freue mich sehr auf eine hoffentlich erfolgreiche Saison bei den Telekom Baskets Bonn.“

Dort sind die Erwartungen an Shorts allerdings riesig, vor allem vonseiten der Fans. Immerhin ist der Zugang der Nachfolger von Publikumsliebling Parker Jackson-Cartwright, der die Rheinländer auf den zweiten Tabellenplatz und zur ersten Halbfinal-Teilnahme seit der Saison 2008 / 2009 führte. Und da Shorts Vorgänger PJC von der Spiel-anlage her sehr ähnlich ist und als erster Aufbau-spieler ebenfalls der Dreh- und Angelpunkt der Bonner Offensive sein soll, wird sich der Vergleich der beiden besten BBL-Point-Guards der vergangenen Saison für zahlreiche Fans und Beobachter der Liga immer wieder aufdrängen. „Die Spiel-weise von Coach Tuomas Iisalo wurde immer durch einen dominanten Point Guard bestimmt. So wird es auch in dieser Saison sein. TJ wird viel den Ball in den Händen haben, um offene Würfe für uns zu kreieren“, blickt Baskets-Kapitän Karsten Tadda im Gespräch mit BIG voraus. „Es wäre aber unfair, von ihm zu verlangen, dass er uns nun mindestens auf das Vorjahresniveau hieven muss.“

Shorts selbst verspürt ebenfalls keinen großen Druck. Im Gegenteil. Er will sein Spiel für sich sprechen lassen. „Wenn ich auf den Court gehe, denke ich nicht darüber nach, wer schon einmal etwas gewonnen hat oder ob jemand größer ist als ich“, sagt Shorts, dessen spielerisches Vorbild NBA-Star Chris Paul ist. „Ich beschäftige mich auch nicht damit, was andere Leute über mich denken. Vielmehr versuche ich immer, die best-mögliche Version meiner selbst zu sein, damit mein Team erfolgreich sein kann. So werde ich es auch in dieser Saison machen. Die Resultate werden dann zeigen, ob das gut geklappt hat.“ Dabei ist Shorts bestrebt, als Scorer, Vorbereiter und Verteidiger erneut zu den besten Spielern der Liga zu gehören.

Ein Auge auf den MVP-Titel hat er allerdings nicht geworfen, auch wenn er ihn in der vergangenen Saison wohl nur aufgrund seiner Verletzung nicht verliehen bekam. „Ich möchte ein wenig etwas von allem tun, um Spiele zu gewinnen. Das ist mir am wichtigsten. Deswegen war der MVP-Titel während der letzten Saison nicht in meinem Kopf und ist es auch jetzt nicht“, sagt Shorts, der sich abseits des Parketts als gutherzigen, lustigen und aufmunternder Typ beschreibt. „Wenn man mit der Einstellung in die Saison geht, etwas zu erreichen, was in der Vergangenheit war, dann wird das nicht funktionieren.“ Denn in dieser Saison sei die Situation schlichtweg eine andere. „Wir haben ein neues Team, die Kultur innerhalb der Mannschaft musste neu aufgebaut werden“, beschreibt Shorts eine wichtige Aufgabe während der Saisonvorbereitung. „Das hat bisher groß-artig geklappt, weshalb ich sehr zuversichtlich in die Saison gehe.“

Was für die Telekom Baskets Bonn und ihre Fans dabei am Ende herausspringt, wird sich während der Spielzeit immer klarer herauskristallisieren. Mit einem gesunden TJ Shorts in einem System von Coach Tuomas Iisalo gehören die Rheinländer allerdings zu den heißesten Playoff-Kandidaten. Auch deshalb sind Shorts die Teamziele deutlich wichtiger als individuelle Auszeichnungen. „Wir wollen um den Titel mitspielen“, erklärt der quirlige Aufbauspieler. „Dafür versuchen wir unsere Identität von Tag zu Tag kontinuierlich zu stärken und uns stetig zu verbessern. Wenn uns das gelingt, können wir am Ende der Saison viel erreichen.“

Dabei hoffen viele Fans schon jetzt darauf, dass mit einem „besseren PJC“ vielleicht sogar noch mehr drin ist als der Halbfinal-Einzug vergangene Saison und Shorts womöglich von einem längeren Verbleib überzeugt werden könnte. Für den US-Guard selbst wäre es hingegen das erste Mal, dass er einem Team länger als eine Saison treu bleibt. „Ich sehe mich immer noch als jungen Spieler an, der sich weiter verbessern kann. Mit dieser Einstellung blicke ich in die Zukunft. Mal sehen, wohin mich das noch führt“, sagt Shorts, der am 15. Oktober seinen 25. Geburtstag gefeiert hat. „Ich schließe nichts aus, womöglich laufe ich in der nächsten Saison erneut in Bonn auf.“ Zu diesem Zeitpunkt dann vielleicht sogar endlich als MVP. Der kleinste Spieler der Liga wäre somit nicht nur wieder der Alte, sondern dann auch endlich offiziell der Beste der gesamten BBL.

 

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Gegen alle Zweifel https://big-basketball.com/2022/10/01/big-appetizer-gegen-alle-zweifel/ Sat, 01 Oct 2022 08:41:00 +0000 https://big.webdunk.net/?p=1991 Appetizer des Monats: November 2022. Gegen alle Zweifel, die EuroBasket-Reportage von Chefredakteur Martin Fünkele, erschien ursprünglich in #BIG123 und begleitet die lange Reise, auf die sich die deutsche Nationalmannschaft im Sommer 2022 begab und mit der Bronze-Medaille abschloss.

Gegen alle Zweifel

Die Bronzemedaille ist der funkelnde Höhepunkt einer Reise, auf der das DBB-Team viele Hindernisse überwand. Eine Reportage von Hagen bis Berlin, zwischen Zweifel und Euphorie – von Anfang bis Ende.

Text: Martin Fünkele | Foto: FIBA

Ein Freitag Anfang September 2021 in Hagen. Ein grauer Tag lässt das schmucklose Bürogebäude im Stadtteil Wehringhausen noch unspektakulärer wirken, als es ohnehin schon ist. Hier, in diesem fünfstöckigen Betonklotz aus den 70er-Jahren, wo der Deutsche Basketball Bund (DBB) seine Zentrale hat, sagt Gordon Herbert einen Satz, der den Rahmen sprengt. Der Tisch, an dem Herbert sitzt, ist provisorisch mit einem weißen mit einem weißen Laken überzogen. Rechts neben ihm hockt DBB-Präsident Ingo Weiss, an seiner linken Seite Vizepräsident Armin Andres.

Das Bild, das der Verband bei der Präsentation seines neuen Bundestrainers abgibt, passt sich der Szenerie an. Drei Männer um die 60 sagen, was man bei solchen Anlässen eben sagt. Dann verlässt Herbert das sichere Terrain der erwartbaren Äußerungen und erklärt: „Egal ob EM, WM oder Olympia – ich will immer aufs Podium. Das Ziel ist immer eine Medaille.“ Das Nationalteam, dass der 63-Jährige an diesem Tag übernimmt, stand seit 17 Jahren nicht mehr auf einem Podium. Das EM-Silber, das die Nowitzki-Generation 2005 in Belgrad gewann, war die letzte von bis dahin drei deutschen Medaillen.

Zwölf Monate später sitzt Herbert wieder an einem langen Tisch. Der Presseraum im Keller der Berliner Mercedes-Benz Arena ist knüppelvoll, rund 50 Journalisten starren auf das hell erleuchtete Podium. Es sieht nach großem Sport aus – und das ist es auch, was hier besprochen wird. Deutschland hat Griechenland im Viertelfinale der Euro-Basket mit 107:96 besiegt. In einem begeisternden Spiel dominiert das DBB-Team die Auswahl um NBA-Superstar Giannis Antetokounmpo. Beim Kölner TV-Sender RTL sehen über zwei Millionen Menschen die wahrscheinlich beste Leistung einer deutschen Nationalmannschaft überhaupt. Herbert lächelt, als er sagt: „Ich habe schon im Oktober gesagt, dass wir bei der EM eine Medaille holen wollen. Da haben mich viele angeschaut, als sei ich verrückt.“ Zwischen diesen beiden Momentaufnahmen liegt ein Weg, der zunächst reichlich Argumente lieferte, den Geisteszustand von Gordon Herbert anzuzweifeln. Es geht ja nicht wirklich gut los: nämlich mit einer Niederlage in Herberts erstem Spiel als Bundestrainer. Sein Team verliert in der WM-Qualifikation gegen zweit-klassige Esten. Zum Glück sehen das in Nürnberg coronabedingt nur 1000 Menschen.

Auch die darauffolgenden Entwicklungsschritte der Mannschaft bekommen nur wenige mit: Ohne NBA- und Euro-League-Spieler steht die Nationalmannschaft im Herbst und im Frühjahr kaum in der Öffentlichkeit. In den folgenden Monaten gewinnt das DBB-Team erst knapp gegen Polen, dann zweimal gegen Israel. Bevor im Juni das dritte WM-Quali-Fenster ansteht, rückt die Euro-Basket allmählich in den Fokus. Der Plan, einen großen Teil der EM-Mannschaft frühzeitig an Bord zu holen, misslingt. Ledig-lich Jo Voigtmann, Dennis Schröder und Isaac Bonga ergänzen den Quali-Kader. Im Frühsommer trifft Basket-ball-Deutschland dann das erste Mal seit drei Jahren wieder auf Dennis Schröder. Der 29-Jährige hat sich früh zur Nationalmannschaft bekannt, und das obwohl er als vertragsloser Spieler gute Gründe gehabt hätte, das Risikogeschäft Nationalmannschaft zu meiden. Angst vor einer Verletzung hat Schröder nicht, statt-dessen wiederholt er mehrfach sein Bekenntnis zur deutschen Auswahl. „Wer sich nicht committet, soll zu Hause bleiben“, sagt er 100 Tage vor der EM bei einem PR-Termin in Berlin. Aber Schröder ist eben Schröder – den Teamplayer nimmt man dem Extro-vertierten noch nicht so ganz ab. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die den Wertekompass eines Menschen offenbaren. In Bremen läuft Schröder während der WM-Quali mitten im Spiel zu seiner Familie, die sitzt in der ersten Reihe und feiert einen getroffenen Dreier des Stars. Erst im Anschluss daran trabt Schröder zur Teambank, wo seine Mannschaft auf ihn wartet. Kann so einer ein Vorbild und Kapitän sein? Die Basketball-Öffentlichkeit ist skeptisch.

Im selben Spiel verletzt Isaac Bonga sich, den Schröder „unseren wichtigsten Mann“ nennt. Der 22-Jährige ist eine Ein-Mann-Defensivstrategie, seine langen Arme waren in Herberts Verteidigungskonzept fest eingeplant. Als dann auch noch Moe Wagner ausfällt, wird es auf den großen Positionen dünn. Die Absagen von Tibor Pleiß, Isaiah Hartenstein und Maxi Kleber hatten Herbert ohnehin schon umdisponieren lassen.

Aber der Bundestrainer bleibt sich treu: Wer zum Trainingsauftakt Anfang August nicht zur Verfügung steht, wird nicht nominiert. Nur bei Nick Weiler-Babb macht er eine Ausnahme: Der erhält wenige Tage vor Beginn der Vorbereitung seinen deutschen Pass, fliegt dann aber für zwei Wochen in die USA, wo seine Frau Schwangerschaftskomplikationen durchlebt. Als dann auch noch Robin Benzing seinen Ärger über seine Nichtnominierung öffentlich macht, scheint der Traum von einer EM-Medaille in weite Ferne zu rücken. Der Verband sieht sich mit einem Shitstorm konfrontiert, weil er es verpasst, die rein sportliche Entscheidung seines Headcoaches transparent zu erklären. Doch es kommt noch schlimmer: Daniel Theis verletzt sich am Knie, Dennis Schröder am Sprunggelenk – beide verlassen die Mannschaft für mehrere Tage.

Und was sagt Coach Herbert? „I believe in adversity“, was übersetzt so viel heißt wie: „Ich glaube an Widrigkeiten.“ Herbert blickt auf eine zwölfjährige Profikarriere als Spieler zurück, an deren Ende er mit 41 Jahren sein Studium der Sport-psychologie abschloss. „Du brauchst Hindernisse, um zu wachsen“, sagt er an Tag zwei der EuroBasket. An Tag eins hatte sein Team vor 18 017 Menschen in der ausverkauften LANXESS arena Frankreich besiegt. Maodo Lo, dem Schröder nach seinen 13 Punkten und fünf Assists gegen den Olympia-Zweiten eine NBA-Karriere zutraute, hat derweil andere Sorgen: Er kann nicht schlafen, erst morgens um 4 Uhr entlässt ihn sein Gehirn aus dem rauschhaften Erlebnis des Eröffnungsspiels.

Vor dem Hotel Marriott unweit des Kölner Hauptbahnhofs beob-achtet eine Gruppe Rentner, wie der Teambus die deutsche Mannschaft vom Training zurückbringt. Einer der Senioren ruft: „Nowitzki“, ein anderer weiß es besser und sagt: „Dennis Schröder“, ein dritter, der es ganz genau wissen will, geht die paar Meter zum Bus und fotografiert die Spieler. Als die Männer sich gemeinsam die Bilder anschauen, sagt einer: „Ich kenne keinen davon.“

Das wird sich in den nächsten Tagen ändern. Viermal in Folge ist Europas größte Veranstaltungshalle ausverkauft, ein neuer EM-Zuschauerrekord. Es ist ein Basketballfest, das es in Deutschland so noch nie gegeben hat. Den vorläufigen Höhepunkt der Euphorie markiert das Litauen-Spiel, das über 50 Minuten geht und dem der erst 21-jährige Franz Wagner seinen Stempel aufdrückt. Die 32 Punkte sind das eine, die unverschämte Lässigkeit gepaart mit einem unglaublichen Bewegungstalent, das andere. Dass die Schiedsrichter ausgerechnet bei diesem Spiel einen Freiwurf vergessen, wirft ein Schlaglicht auf eines der wenigen Themen, die nach dieser EuroBasket negativ im Gedächtnis bleiben werden.

„Ich muss diese verdammten Würfe treffen!“ Dennis Schröder hat das nach der Vorrunden-Niederlage gegen Slowenien gesagt. In Köln fallen nur acht seiner 36 Versuche von jenseits der Dreierlinie. Die meisten Würfe sind okay, nur eben zu kurz – auffällig zu kurz. „Seine Beine sind etwas schwer“, erklärt Herbert Tage später. Mittlerweile ist der Tross von Köln nach Berlin umgezogen. Aus dem Marriott ist das Sheraton geworden und aus den heißen Tagen am Rhein die kühlen an der Spree.

Dass Schröder in der Vorbereitung verletzt war, hätte man fast vergessen, wenn eben seine verpassten Würfe nicht immer wieder darauf hindeuteten. „Das hängt zusammen“, bestätigt Herbert. Gut, dass das deutsche Team nach fünf Spielen in sieben Tagen jetzt etwas mehr Pause hat. In Berlin wird nur jeden dritten Tag gespielt, was die Slowenen mit einer Party-Einladung verwechseln. Der Transfer des Europameisters von Köln nach Berlin verzögert sich um einen Tag. Das Team um Luka Doncic verpasst den Flug, weil es am Abend zuvor bis in die Morgenstunden on tour war. Team Deutschland läuft nicht Gefahr, sich vom Moment davontragen zu lassen. Dafür taugen die Typen nicht. Eher dafür, auch nach einem Spiel noch in den Kraftraum zu gehen. Die kaum eingesetzten Justus Hollatz und Chris Sengfelder tun das, aber auch Schröder, der mit über 33 Minuten im Schnitt die meiste Spielzeit erhält. Vielleicht liegt es an diesen Extraschichten, jedenfalls wird Schröders Wurf im Laufe des Turniers immer besser. Waren es in der Vorrunde nur 22 Prozent, sind es in Berlin immerhin 33 Prozent seiner Dreier, die ihr Ziel finden.

In Berlin steigt auch das Interesse am deutschen Team – nicht unbedingt das in der Arena am Ostbahnhof, aber das der Journalisten. Nach dem Sieg im Achtelfinale über Montenegro will Vladimir Spivak von Maodo Lo wissen, was der deutsche Viertelfinal-Einzug über die deutsche Liga aussagt. „Eine Menge“, meint Lo und weist auf die Euro-League-Teams und die internationalen Ambitionen anderer Bundesligisten hin, die „alle einen guten Job“ machten. Lo sagt: „Ich glaube, die BBL wird in Europa nicht wirklich ernst genommen.“

Spivak sieht sich dadurch in seiner These bestätigt. Der Russe ist in seiner Heimat TV-Kommentator: Für das nationale Fernsehen hat er das olympische Basket-ball-Finale kommentiert, für den kleinen Sparten-Sender TV-Start bespricht er die BBL. Er sagt: „Ich liebe die BBL. Die Fans sind erstaunlich, aber auch der Wettkampf ist hoch.“ Neben Lo sind es vor allem Jo Thiemann, Niels Giffey, Andreas Obst, Nick Weil-Babb und WoBo, die von der BBL geprägt wurden und auch der EuroBasket ihren Stempel aufdrückten. In der Sporthalle Schöneberg riecht es nach ehrlicher Arbeit. Seit 1954 wird hier Sport getrieben. Heute hält der DBB in der Dreifachturn-halle eine Coaching Clinic ab. Das heißt: Rund 200 Trainer treffen sich, um ihre Lizenz zu verlängern. Niemand macht das gerne. Prominente Referenten sollen die Veranstaltung aufwerten. EuroLeague-Coach Giannis Sfairopoulos ist da, genauso wie Chris Fleming, der bei den Chicago Bulls als Assistenztrainer arbeitet.

Fleming hat die Nationalmannschaft selbst einmal gecoacht: 2015 und 2017 dirigierte er das DBB-Team bei einer Europameisterschaft. Damals wie heute mit dabei: Maodo Lo, Niels Giffey, Dennis Schröder und Jo Voigtmann. 2017 kamen Daniel Theis und JT dazu. „Im Kern ist die Mannschaft schon lange zusammen, sie haben schon einiges gemeinsam erlebt“, sagt Fleming. Zum Beispiel die WM 2019, die allen offenbarte, dass Talent allein nicht reicht. Oder 2021, als der Weg über Split nach Tokio zu Olympia führte – dieses Mal ohne Schröder. Da ist etwas zusammengewachsen – nicht erst in diesem Sommer.

Wenn Fleming über die EuroBasket nachdenkt, fallen ihm natürlich zuerst die großen Stars wie Nikola Jokic, Doncic und Giannis ein, die das Niveau in die Höhe getrieben hatten. Fleming fällt aber auch auf, dass sich „das Spiel immer mehr vom Small-Ball zum Skill-Ball entwickelt“. Heißt, dass auf den Trend, vermehrt kleinere Spieler einzusetzen, nun eine Entwicklung folgt, bei der die Größe zunehmend in den Hintergrund rückt, dafür aber das Skill-Level entscheidend ist. Als Skills bezeichnet man im Basket-ball den Werkzeugkasten, den ein Spieler vorweisen kann. Je mehr Skills bzw. Tools, umso besser kommt er in einem Spiel zurecht, das sich in Sekundenbruchteilen ändert. Auch darin mag eine Erklärung für den deutschen Erfolg liegen: Spieler wie Maodo Lo – also der mit dem Ball tanzt –, Andi Obst – der mit 25 Treffern beste Dreierschütze der EM –, Franz Wagner – der seine Gegner auf einem Bierdeckel ausspielt – und Johannes Voigtmann – der wohl beste Passgeber auf seiner Position in der EuroLeague – sind genau diese Skill-Player, die sich in kürzester Zeit an eine neue Aufgabe anpassen können. Raus aus der Sporthalle Schöneberg und zurück in die Stadt. Auf halbem Weg liegt das Teamhotel. Wo anfänglich 16 Mannschaften untergebracht waren, residieren jetzt nur noch vier: Polen, Frankreich, Spanien und Deutschland. Die Serben sind raus, die Griechen und die Slowenen auch. Der Weg vom Hotel bis zur Spielhalle ist in Berlin nur unwesentlich länger als in Köln – trotzdem dauert die Fahrt doppelt so lange. Berlin ist ein Moloch: Über 3,8 Millionen Menschen leben hier, die wenigsten haben von der EM etwas mitbekommen.

In Köln hatten die Senioren vor dem deutschen Teamhotel anfänglich ja auch keine Ahnung, doch die beflaggten Rheinbrücken und die grölenden Litauer auf dem Friesenplatz waren nicht zu übersehen. In Berlin musste man schon zufälligerweise an der Chausseestraße Ecke Wöhlertstraße vorbeikommen, um das Plakat eines Basketballers zu sehen. Provisorisch an einem Gerüst festgemacht, zeigte es einen Dunking von Ademola Okulaja. Der Warrior ist am 17. Mai 2022 verstorben. Damit das nicht in Vergessenheit gerät, haben Frank Dupuis und Okulajas Freundin Bintia das Banner aufgehängt.

Kurz bevor am 16. September, um 20.30 Uhr, in der nicht ganz ausverkauften Mercedes-Benz Arena das Halbfinale beginnt, spielt ein Straßenmusiker „Yellow“. Der Wind bläst die Töne des Coldplay-Klassikers über den unwirtlichen Vorplatz der Berliner Arena. Es ist kalt geworden, die Kölner Sommer-party liegt gefühlt Monate zurück. Ein Ticketverkäufer packt seine restlichen Karten zusammen – auch für 20 Euro das Stück wird er sie jetzt nicht mehr los. Im Inneren der Arena ist die Stimmung trotzdem hitzig – es geht gegen den Weltmeister, der schon 2005, beim letzten deutschen Medaillengewinn, im Halbfinale der Gegner war.

Am Ende sind es fünf Punkte oder vier, fünf schwache Minuten, die Deutschland vom Final-Einzug trennen. Zu undiszipliniert im letzten Viertel, zu müde, weil zu lange in derselben Rotation aus Schröder, Weiler-Babb, Obst, Wagner und Thiemann. Das sind die Punkte, für die Coach Herbert später die Verantwortung übernimmt. Am 16. Turniertag bzw. nach dem achten Spiel ist aber auch allen klar, dass diese Partie in beide Richtungen hätte gehen können, der Sieg der Spanier also nicht unverdient ist. Im Anschluss sind dann sowieso zwei andere Zahlen wichtig: Über vier Millionen Menschen sehen in der Spitze bei RTL zu und neun von neun Finals hat der spanische Verband in diesem Sommer mit all seinen Teams erreicht. Welche Zahl wichtiger sei, wird Gordon Herbert am Tag nach dem Halbfinal-Aus gefragt. „Beide“, sagt er salomonisch und kommentiert damit einen Unterschied, der nicht größer sein könnte: Während Basketball-Deutschland sich über plötzliche Aufmerksamkeit freut, ist der Basketball in Spanien längst so tief verankert, dass er ein gene-rationen- und geschlechterübergreifendes Phänomen geworden ist. „Widrigkeiten können dich auseinanderreißen oder zusammen-schweißen. Jetzt ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir nicht auseinanderfallen.“ Vor dem Spiel um Platz drei weiß Gordon Herbert genau, worauf es ankommt. Bevor es dann gegen Polen losgeht, beweist das deutsche Team, wie groß sein Zusammenhalt ist: Einer nach dem anderen umarmen sie Robin Benzing, der von seinem Platz in der ersten Reihe aufsteht und die Prozession stoisch über sich ergehen lässt.

Dabei ist es nicht ganz klar, wer hier mehr Größe zeigt: Das Team oder sein ehemaliger Kapitän, der seinen Stolz beiseiteschiebt und anfeuert, obwohl er nicht mitspielen darf? Der letzte Auftritt der deutschen Mannschaft bei dieser 41. Europameisterschaft komprimiert dann noch einmal all das, was sie in diesem Sommer durchlebte: spielerische Klasse, Rückschläge und ein Spiel, das sieben Minuten vor dem Ende auf Messers Schneide steht. Doch als es darauf ankommt, kann das Team sich auf sein Kapitäne verlassen – auf Dennis Schröder und Jo Voigtmann. Und darauf, dass es in diesem Sommer 2022 eine Resilienz entwickelt hat, die größer ist als alle Hindernisse. Als Schröder nach einem Dreier zum 76:66 mit Benzing abklatscht, ist die Bronze-medaille gewonnen.

Und Schröder, der das Team als Kapitän zur ersten deutschen Medaille seit 17 Jahren führte, beweist auch im Moment des Triumphs ein feines Gespür für die Situation: Erneut sucht er zuerst den Kontakt zu Benzing, seinem Vorgänger als Kapitän, und umarmt in minutenlang. Anschließend verspricht er ihm seine Medaille, falls sich für Benzing keine auftreiben ließe.

Als „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ längst verklungen ist, betreten Herbert und Schröder ein letztes Mal den Press Conference Room. Schröder trägt einen schwarzen Anglerhut von Prada. Um seine Hals baumelt die Medaille – die erste, die er in seiner Karriere gewonnen hat. Er erinnert an den Beginn der Reise, „als niemand an uns geglaubt hat“ und die Buch-macher einem deutschen Titelgewinn eine Wahrscheinlichkeit von 3,75 Prozent einräumten. Er blickt in die Zukunft, „in der bald Franz Wagner dieses Team übernehmen wird“. Und Schröder sagt einen Satz, bei dem er selbst schmunzeln muss: „Wir haben den Basketball ein bisschen sexyer gemacht.“

Man könnte auch sagen: Basket-ball-Deutschland hat wieder eine Nationalmannschaft, die ihre Fans begeistert. Typen, die sich selbst nicht zu wichtig nehmen, dafür aber alle dasselbe Ziel verfolgen: eine Medaille, bei jeder EM, WM oder Olympia. Und das ist mindestens so wertvoll wie das vierte Edelmetall, das der Verband nun sein Eigen nennen darf.

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„Ich lebe einen surrealen Traum“ https://big-basketball.com/2022/09/01/ich-lebe-einen-surrealen-traum/ Thu, 01 Sep 2022 09:56:10 +0000 https://big.webdunk.net/?p=2000 Appetizer des Monats: September 2022. Nina Probst traf WNBA- und Nationalspielerin Satou Sabally für #BIG119 zum Interview. Ein Gespräch über die richtige Balance, pinke Einhörner und ein surreales Leben.

“Ich lebe einen surrealen Traum”

Es ist 16.30 Uhr in Dallas, 1.30 Uhr in Deutschland. Zwischen ihrem Pool-Workout und einem Termin mit dem Finanzberater nimmt Satou Sabally sich Zeit, um über Zoom mit BIG zu sprechen. Die 24-jährige Flügelspielerin der Dallas Wings hat sich dafür ins Bett gelegt, um die Gelegenheit zu nutzen, die Beine zu entspannen. Denn solche Gelegenheiten sind rar für die Berlinerin, die sowohl in der WNBA als auch bei Fenerbahce Istanbul in der Türkei spielt. 

Interview: Nina Probst |Foto: Renata Kireyeva.

Satou, wie schaffst du es, zwei Ligen plus Nationalmannschaft zu vereinen?

Das ist wirklich nicht einfach. Nach meiner Saison in der Türkei hatte ich gerade einmal vier Tage frei. Nach dem Playoff-Finale bin ich nach Dallas geflogen, um dort drei Tage später mit einer ganz neuen Mannschaft wieder auf dem Feld zu stehen. Das macht es schwer, auch mal herunterzufahren, fast unmög-lich. Hinzu kommt, dass ich meine Pausen auch nutzen will, um mit der Nationalmannschaft zu spielen.

Und wann machst du wirklich mal Pause?

Ich meditiere mittlerweile, denn für mich ist es sehr schwer, gedanklich nur an einem Ort zu sein. Jetzt zum Beispiel muss ich mich wieder um meinen türkischen Vertrag für die kommende Saison kümmern. Meditieren hilft mir dabei, zu entspannen und mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Ich chille auch gerne mit meinen Freunden oder kann bei Workouts im Pool abschalten. Mit der Zeit musste ich Alternativen und Wege finden, wie ich auch während der Saison Pause machen kann. Denn ein „Nach der Saison“ gibt es kaum.

Das ist sicher nicht immer einfach.

Nein. Manchmal komme ich an einen Punkt, wo ich nicht mehr kann. Dann muss ich mich einfach hinlegen und schlafen. Daher mache ich meine Work-outs jetzt auch lieber morgens und nehme mir später Zeit für einen kleinen Mittagsschlaf. Mein Lebensstil hat sich in den vergangenen zwei Jahren stark verändert.

Inwiefern?

Mein ganzer Tag dreht sich nur um Basketball. Ich konzentriere mich voll auf den Sport und will in meinen Körper investieren. Dazu habe ich eine persönliche Trainerin, die mir in einer App jeden Tag aufschreibt, was ich tun muss. Auch Yoga, Pilates und Pool-Workouts. Vor allem aber habe ich meinen Fokus geändert. Ich war immer ein Mensch, der 10 000 Dinge zu tun hatte. Jetzt musste ich lernen, wie ich andere Ressourcen nutzen kann, um mich nur auf den Sport zu konzentrieren. Daher auch ein Finanzberater. Mittlerweile gehe ich nach den Spielen auch nicht mehr lange feiern. Zwar bin ich schon ein Mensch, der das Leben genießen will und kann, schließlich bin ich kein Roboter. Aber wenn man etwas erreichen will, muss man Prioritäten setzen. Das haben mich die vergangenen Jahre gelehrt.

Was willst du denn noch erreichen?

Ich möchte mit Fenerbahce Euro-League-Champion sein, das hat sich mittlerweile zu einer Priorität entwickelt. Wir haben jetzt jeweils einmal Bronze und Silber gewonnen, da fehlt einfach noch die goldene Medaille. In Amerika ist es die WNBA-Championship, die ich als Ziel habe. Wir sind in Dallas eine so talentierte, aber eben junge Gruppe – da bin ich sicher, dass diese Siege auch kommen. Außerdem würde ich gerne mindestens einmal MVP genannt werden und auch außerhalb des Sports an meiner Brand arbeiten.

Apropos Brand: In einigen Medien bist du auch als Unicorn bekannt.

(lacht) Das war mein College-Trainer Kelly Graves. Er hat mal in einem Interview gesagt: „She is like a Unicorn“, weil ich so viele Interessen habe in meinem Leben. Da hat natürlich auch amerikanisches Storytelling eine große Rolle gespielt. Aber ich mag den Vergleich. Ich liebe Pink, und Einhörner sind für mich einfach pink. Ein Unicorn zu sein, ist wie für mich ein Statement, auch was meine Performance auf dem Court angeht. Ich will einzigartig sein und zwischen den anderen herausstechen.

Klingt, als wärst du zufrieden, wie alles läuft.

Das schon, aber du hast mich heute auch an einem guten Tag erwischt. So ein Profileben ist nicht immer einfach. Ich vermisse meine Familie und manchmal schmerzt der Körper einfach. Vergangene Saison hat mein Körper Stopp gesagt, aber ich habe nicht zugehört. Ich habe noch die 3×3-Olympia-Qualifi-kation gespielt und danach in der WNBA. Später im Sommer bin ich dann an einen Punkt gekommen, an dem ich mental nicht mehr in der Lage war weiterzuspielen. Da musste ich die Notbremse ziehen und einen Reset machen. Das war eine schwere Zeit für mich. Ich habe nach dem Training oft geweint und wollte von Basketball nicht mehr wirklich etwas wissen.

Wie hast du neue Motivation geschöpft?

Ich habe viel darüber geredet. Mit meiner Mom und mit einem Sportpsychologen, der mir schon seit dem College durch solche Situationen hilft. Er unterstützt mich dabei, meine Gefühle herunterzubrechen, und macht mir klar, dass auch psychische Schmerzen eine Behandlung brauchen. Ich habe gelernt, mit mir allein zu sein und meine Emotionen zuzulassen. Unsere Generation ist immer so beschäftigt damit, was draußen los ist, und nicht mit dem, was in einem selbst passiert. Ich habe mittlerweile auch gelernt, einfach zu weinen – und dass es okay ist, auch mal nicht okay zu sein. Die Tiefen kommen genauso wie die Höhen, das muss ich ausbalancieren.

Du hast also auch viel über dich selbst gelernt.

Auf jeden Fall. Ich erkenne nun besser, wenn es mir mental nicht mehr so gut geht, und kann recht-zeitig einen Gesprächstermin vereinbaren. Außerdem schreibe ich Tagebücher, seit ich neun Jahre alt bin. Das hilft mir.

Gibt’s auch Hilfe seitens deiner Vereine?

In der WNBA ist die Unterstützung tipptopp. Als es mir nicht gut ging, habe ich sogenannte Mental Health Days bekommen und konnte sogar mitten in der Saison zu Hause bleiben, um mich zu erholen. In der Türkei und in Europa generell ist das Thema nicht so präsent. Ich habe zum Beispiel hier am College mehr darüber gelernt als bei der Nationalmannschaft. Ich fände gut, wenn es auch in Deutschland mehr Möglichkeiten gäbe, sich über mentale Probleme auszutauschen.

Wo siehst du noch Unterschiede zwischen den Nationen in Bezug auf Basketball?

Natürlich zunächst auf der spielerischen Ebene. In Deutschland geht es auf dem Feld zum Beispiel viel strukturierter zu. Mir war das oft zu strukturiert. In den USA gibt es diese Systeme natürlich auch, aber insgesamt ist das Spiel athletischer, und wir können in diesem kontrollierten Rahmen auch viel zocken. In der Türkei ist es eine Mischung aus europäischem und amerikanischem Basketball, das Spiel ist wirklich hart. Als Ausländerin bekomme ich da keine Pfiffe. Aber ich liebe es, in der Türkei zu spielen. Und es lohnt sich: Ich bin in den vergangenen zwei Jahren viel besser geworden.

Verfolgst du auch die Entwicklung der DBBL noch?

Eher weniger. Ich habe gesehen, dass Freiburg deutscher Meister geworden ist, und habe mich sehr darüber gefreut. Ich verfolge auch einzelne Spielerinnen und sehe, dass mit Leonie Fiebich und Luisa Geiselsöder zum Beispiel guter Nach-wuchs da ist. Ansonsten habe ich aber keinen Überblick. Ich würde gerne mehr erfahren, vor allem auch über die WNBL, allerdings ist die Medienpräsenz sehr gering. Daran will ich gerne etwas ändern und den deutschen Basketball der Frauen bekannter machen. Dazu wird es in diesem Jahr noch etwas wirklich Tolles geben.

Verrätst du uns mehr?

Mehr kann ich nicht sagen. (lacht) Nur: Es wird eine coole Sache werden für den Frauen-Basketball.

Wir sind gespannt! Was die Medienpräsenz und Vermarktung angeht, bist du ja mittlerweile ein richtiger Profi.

Schon allein durch meine College-zeit war ich mit den Medien recht vertraut und seit dem Draft sowieso. Der Kontakt zu Medien hat sich jetzt wieder ein bisschen gelegt, vor allem das Interesse aus Deutschland ist mit der Zeit geringer geworden.

Wirst du auch auf der Straße regelmäßig erkannt?

In den USA passiert das vor allem dann, wenn ich meine sportliche Kleidung anhabe. Da werde ich beim Einkaufen schon häufig angesprochen, aber nicht unbedingt darauf, dass ich Satou Sabally bin, sondern grundsätzlich, ob ich Basketball spiele. Das liegt, glaube ich, auch viel an meiner Größe. In Istanbul kommt das auch oft vor, in Deutschland passiert es mir eher, dass die Leute mich einfach anschauen.

Bist du denn hin und wieder hier, um deine Familie zu besuchen?

Leider sehe ich sie kaum und ich vermisse sie sehr. Wenn ich tatsächlich mal in Berlin bin, versuche ich, mir für alle Zeit zu nehmen. Aber meine Familie ist eben riesig und ich liebe sie alle. Vor allem über Facetime halte ich mit allen Kontakt, aber das ist nicht dasselbe. Ich sehe zum Beispiel nicht, wie meine kleinen Brüder aufwachsen, welche Gespräche sie von der Schule mit nach Hause bringen und kann nicht die alltäglichen Dinge mit ihnen erleben. Das ist wirklich schwer.

Immerhin siehst du deine Schwester jetzt öfter. Sie wurde von New York gedraftet.

Das ist unglaublich, ich habe mich so für sie gefreut. Dass zwei Schwestern aus Deutschland gedraftet wurden, und dann auch noch so früh in der ersten Runde, gab es, glaube ich, bis jetzt noch nie. Ich freue mich so darauf, wenn Nyara nach ihrer Operation wieder auf dem Feld stehen kann. Sie ist so stark und es spricht viel für ihre Arbeit, dass sie das jetzt geschafft hat.

Sicher bist du auch ein Vorbild für sie.

Ich würde schon sagen, ja. Gerade mit dem ganzen Draft war sie sehr gestresst. Da habe ich mehrere Anrufe von ihr bekommen, weil sie Fragen hatte. Bei so etwas merke ich, dass ich ein Vorbild bin und viele Tipps geben kann. Aber ich kann umgekehrt auch von ihr lernen. Zum Beispiel Geduld. Wie Nyara mit ihren Kreuzbandrissen umgegangen ist, das hat mir wirklich noch mal die Augen geöffnet. Sie hat immer weitergearbeitet und hart dafür trainiert, damit sie jetzt bald wieder auf dem Feld stehen kann. Das hat mir noch mehr gezeigt, dass ich immer weitermachen muss.

Wen würdest du sonst als dein Vorbild bezeichnen?

Ich habe mehrere Vorbilder, von denen ich mir etwas abschauen kann. Jeder hat Stärken, trotzdem will ich immer eine individuelle Person bleiben. Wenn wir über Vorbilder generell sprechen, dann ist da auf jeden Fall meine Mom. Bei den Basketballspielern LeBron James, weil er auf dem Court ein Biest ist und daneben ein Top-Business am Laufen hat. Ich möchte auch soziale Projekte machen, eine Business-Frau und viel mehr als nur Basketballerin sein. Da gibt es noch viele andere tolle Personen, an denen ich mir ein Beispiel nehmen kann. Ich finde es Hammer, wie einige Sportlerinnen und Sportler sich erweitern.

Du selbst bist ja auch politisch engagiert.

Es ist weniger geworden, ich habe einfach die Zeit nicht mehr. Gerade während des Corona-Lockdowns waren die Umstände gut, aktiv zu sein. Aber so oder so, ich werde immer ein Licht auf das Problem der Rassendiskriminierung werfen. Das ist mein Job.

Weil du Profisportlerin bist?

Weil ich ein Mensch bin. Klar, schon auch weil ich Profi bin, schließlich habe ich einfach mehr Follower und daher eine größere Reichweite. Aber vor allem bin ich ein Mensch und eine schwarze Frau, die sich für Gleichberechtigung einsetzt, für Frauenrechte. Die Welt hat viele Probleme, die wir aufarbeiten müssen. Und da spielt Gleichberechtigung eine wichtige Rolle.

Wie erlebst du die Reaktionen auf dein Engagement?

Eher positiv. Aber natürlich gibt es auch immer die Leute, die sagen, dass das nicht richtig ist. Dass Frauen zum Beispiel gar nicht schlechter bezahlt werden. Kritische Beiträge nehme ich gerne an, denn es muss ja nicht jeder meiner Meinung sein und wir können darüber diskutieren. Wenn aber Leute mit Beleidigungen kommen, dann werden die geblockt. Oder ich schaue mir das gar nicht erst an.

Du hast ja auch etwas in diese Richtung studiert, oder?

Ja, ich habe Sozialwissenschaften und Legal Studies studiert. Die vergangenen beiden Jahre haben mir gezeigt, dass das ein sehr gutes Studium war, um Dinge anzusprechen und darauf aufmerksam zu machen, dass die Welt viele Probleme hat. Ich versuche immer noch ständig, mein Wissen zu erweitern. Es fühlt sich an, als wäre ich noch in der Schule, nur ist das mein richtiges Leben.

Dein Leben – wie fühlt sich das für dich als Profi an?

Ich lebe einen Traum, der anstrengend ist, den ich aber unbedingt weiterhin erleben möchte. Oft realisiere ich gar nicht, was wirklich passiert. Dann gibt es aber auch manchmal diese kleinen Momente, in denen ich darauf blicke, was ich geschafft habe, und bin stolz auf mich. Aber meistens fühlt sich mein Leben einfach surreal an.

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