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Gegen alle Zweifel

Appetizer des Monats: November 2022. Gegen alle Zweifel, die EuroBasket-Reportage von Chefredakteur Martin Fünkele, erschien ursprünglich in #BIG123 und begleitet die lange Reise, auf die sich die deutsche Nationalmannschaft im Sommer 2022 begab und mit der Bronze-Medaille abschloss.

Gegen alle Zweifel

Die Bronzemedaille ist der funkelnde Höhepunkt einer Reise, auf der das DBB-Team viele Hindernisse überwand. Eine Reportage von Hagen bis Berlin, zwischen Zweifel und Euphorie – von Anfang bis Ende.

Text: Martin Fünkele | Foto: FIBA

Ein Freitag Anfang September 2021 in Hagen. Ein grauer Tag lässt das schmucklose Bürogebäude im Stadtteil Wehringhausen noch unspektakulärer wirken, als es ohnehin schon ist. Hier, in diesem fünfstöckigen Betonklotz aus den 70er-Jahren, wo der Deutsche Basketball Bund (DBB) seine Zentrale hat, sagt Gordon Herbert einen Satz, der den Rahmen sprengt. Der Tisch, an dem Herbert sitzt, ist provisorisch mit einem weißen mit einem weißen Laken überzogen. Rechts neben ihm hockt DBB-Präsident Ingo Weiss, an seiner linken Seite Vizepräsident Armin Andres.

Das Bild, das der Verband bei der Präsentation seines neuen Bundestrainers abgibt, passt sich der Szenerie an. Drei Männer um die 60 sagen, was man bei solchen Anlässen eben sagt. Dann verlässt Herbert das sichere Terrain der erwartbaren Äußerungen und erklärt: „Egal ob EM, WM oder Olympia – ich will immer aufs Podium. Das Ziel ist immer eine Medaille.“ Das Nationalteam, dass der 63-Jährige an diesem Tag übernimmt, stand seit 17 Jahren nicht mehr auf einem Podium. Das EM-Silber, das die Nowitzki-Generation 2005 in Belgrad gewann, war die letzte von bis dahin drei deutschen Medaillen.

Zwölf Monate später sitzt Herbert wieder an einem langen Tisch. Der Presseraum im Keller der Berliner Mercedes-Benz Arena ist knüppelvoll, rund 50 Journalisten starren auf das hell erleuchtete Podium. Es sieht nach großem Sport aus – und das ist es auch, was hier besprochen wird. Deutschland hat Griechenland im Viertelfinale der Euro-Basket mit 107:96 besiegt. In einem begeisternden Spiel dominiert das DBB-Team die Auswahl um NBA-Superstar Giannis Antetokounmpo. Beim Kölner TV-Sender RTL sehen über zwei Millionen Menschen die wahrscheinlich beste Leistung einer deutschen Nationalmannschaft überhaupt. Herbert lächelt, als er sagt: „Ich habe schon im Oktober gesagt, dass wir bei der EM eine Medaille holen wollen. Da haben mich viele angeschaut, als sei ich verrückt.“ Zwischen diesen beiden Momentaufnahmen liegt ein Weg, der zunächst reichlich Argumente lieferte, den Geisteszustand von Gordon Herbert anzuzweifeln. Es geht ja nicht wirklich gut los: nämlich mit einer Niederlage in Herberts erstem Spiel als Bundestrainer. Sein Team verliert in der WM-Qualifikation gegen zweit-klassige Esten. Zum Glück sehen das in Nürnberg coronabedingt nur 1000 Menschen.

Auch die darauffolgenden Entwicklungsschritte der Mannschaft bekommen nur wenige mit: Ohne NBA- und Euro-League-Spieler steht die Nationalmannschaft im Herbst und im Frühjahr kaum in der Öffentlichkeit. In den folgenden Monaten gewinnt das DBB-Team erst knapp gegen Polen, dann zweimal gegen Israel. Bevor im Juni das dritte WM-Quali-Fenster ansteht, rückt die Euro-Basket allmählich in den Fokus. Der Plan, einen großen Teil der EM-Mannschaft frühzeitig an Bord zu holen, misslingt. Ledig-lich Jo Voigtmann, Dennis Schröder und Isaac Bonga ergänzen den Quali-Kader. Im Frühsommer trifft Basket-ball-Deutschland dann das erste Mal seit drei Jahren wieder auf Dennis Schröder. Der 29-Jährige hat sich früh zur Nationalmannschaft bekannt, und das obwohl er als vertragsloser Spieler gute Gründe gehabt hätte, das Risikogeschäft Nationalmannschaft zu meiden. Angst vor einer Verletzung hat Schröder nicht, statt-dessen wiederholt er mehrfach sein Bekenntnis zur deutschen Auswahl. „Wer sich nicht committet, soll zu Hause bleiben“, sagt er 100 Tage vor der EM bei einem PR-Termin in Berlin. Aber Schröder ist eben Schröder – den Teamplayer nimmt man dem Extro-vertierten noch nicht so ganz ab. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die den Wertekompass eines Menschen offenbaren. In Bremen läuft Schröder während der WM-Quali mitten im Spiel zu seiner Familie, die sitzt in der ersten Reihe und feiert einen getroffenen Dreier des Stars. Erst im Anschluss daran trabt Schröder zur Teambank, wo seine Mannschaft auf ihn wartet. Kann so einer ein Vorbild und Kapitän sein? Die Basketball-Öffentlichkeit ist skeptisch.

Im selben Spiel verletzt Isaac Bonga sich, den Schröder „unseren wichtigsten Mann“ nennt. Der 22-Jährige ist eine Ein-Mann-Defensivstrategie, seine langen Arme waren in Herberts Verteidigungskonzept fest eingeplant. Als dann auch noch Moe Wagner ausfällt, wird es auf den großen Positionen dünn. Die Absagen von Tibor Pleiß, Isaiah Hartenstein und Maxi Kleber hatten Herbert ohnehin schon umdisponieren lassen.

Aber der Bundestrainer bleibt sich treu: Wer zum Trainingsauftakt Anfang August nicht zur Verfügung steht, wird nicht nominiert. Nur bei Nick Weiler-Babb macht er eine Ausnahme: Der erhält wenige Tage vor Beginn der Vorbereitung seinen deutschen Pass, fliegt dann aber für zwei Wochen in die USA, wo seine Frau Schwangerschaftskomplikationen durchlebt. Als dann auch noch Robin Benzing seinen Ärger über seine Nichtnominierung öffentlich macht, scheint der Traum von einer EM-Medaille in weite Ferne zu rücken. Der Verband sieht sich mit einem Shitstorm konfrontiert, weil er es verpasst, die rein sportliche Entscheidung seines Headcoaches transparent zu erklären. Doch es kommt noch schlimmer: Daniel Theis verletzt sich am Knie, Dennis Schröder am Sprunggelenk – beide verlassen die Mannschaft für mehrere Tage.

Und was sagt Coach Herbert? „I believe in adversity“, was übersetzt so viel heißt wie: „Ich glaube an Widrigkeiten.“ Herbert blickt auf eine zwölfjährige Profikarriere als Spieler zurück, an deren Ende er mit 41 Jahren sein Studium der Sport-psychologie abschloss. „Du brauchst Hindernisse, um zu wachsen“, sagt er an Tag zwei der EuroBasket. An Tag eins hatte sein Team vor 18 017 Menschen in der ausverkauften LANXESS arena Frankreich besiegt. Maodo Lo, dem Schröder nach seinen 13 Punkten und fünf Assists gegen den Olympia-Zweiten eine NBA-Karriere zutraute, hat derweil andere Sorgen: Er kann nicht schlafen, erst morgens um 4 Uhr entlässt ihn sein Gehirn aus dem rauschhaften Erlebnis des Eröffnungsspiels.

Vor dem Hotel Marriott unweit des Kölner Hauptbahnhofs beob-achtet eine Gruppe Rentner, wie der Teambus die deutsche Mannschaft vom Training zurückbringt. Einer der Senioren ruft: „Nowitzki“, ein anderer weiß es besser und sagt: „Dennis Schröder“, ein dritter, der es ganz genau wissen will, geht die paar Meter zum Bus und fotografiert die Spieler. Als die Männer sich gemeinsam die Bilder anschauen, sagt einer: „Ich kenne keinen davon.“

Das wird sich in den nächsten Tagen ändern. Viermal in Folge ist Europas größte Veranstaltungshalle ausverkauft, ein neuer EM-Zuschauerrekord. Es ist ein Basketballfest, das es in Deutschland so noch nie gegeben hat. Den vorläufigen Höhepunkt der Euphorie markiert das Litauen-Spiel, das über 50 Minuten geht und dem der erst 21-jährige Franz Wagner seinen Stempel aufdrückt. Die 32 Punkte sind das eine, die unverschämte Lässigkeit gepaart mit einem unglaublichen Bewegungstalent, das andere. Dass die Schiedsrichter ausgerechnet bei diesem Spiel einen Freiwurf vergessen, wirft ein Schlaglicht auf eines der wenigen Themen, die nach dieser EuroBasket negativ im Gedächtnis bleiben werden.

„Ich muss diese verdammten Würfe treffen!“ Dennis Schröder hat das nach der Vorrunden-Niederlage gegen Slowenien gesagt. In Köln fallen nur acht seiner 36 Versuche von jenseits der Dreierlinie. Die meisten Würfe sind okay, nur eben zu kurz – auffällig zu kurz. „Seine Beine sind etwas schwer“, erklärt Herbert Tage später. Mittlerweile ist der Tross von Köln nach Berlin umgezogen. Aus dem Marriott ist das Sheraton geworden und aus den heißen Tagen am Rhein die kühlen an der Spree.

Dass Schröder in der Vorbereitung verletzt war, hätte man fast vergessen, wenn eben seine verpassten Würfe nicht immer wieder darauf hindeuteten. „Das hängt zusammen“, bestätigt Herbert. Gut, dass das deutsche Team nach fünf Spielen in sieben Tagen jetzt etwas mehr Pause hat. In Berlin wird nur jeden dritten Tag gespielt, was die Slowenen mit einer Party-Einladung verwechseln. Der Transfer des Europameisters von Köln nach Berlin verzögert sich um einen Tag. Das Team um Luka Doncic verpasst den Flug, weil es am Abend zuvor bis in die Morgenstunden on tour war. Team Deutschland läuft nicht Gefahr, sich vom Moment davontragen zu lassen. Dafür taugen die Typen nicht. Eher dafür, auch nach einem Spiel noch in den Kraftraum zu gehen. Die kaum eingesetzten Justus Hollatz und Chris Sengfelder tun das, aber auch Schröder, der mit über 33 Minuten im Schnitt die meiste Spielzeit erhält. Vielleicht liegt es an diesen Extraschichten, jedenfalls wird Schröders Wurf im Laufe des Turniers immer besser. Waren es in der Vorrunde nur 22 Prozent, sind es in Berlin immerhin 33 Prozent seiner Dreier, die ihr Ziel finden.

In Berlin steigt auch das Interesse am deutschen Team – nicht unbedingt das in der Arena am Ostbahnhof, aber das der Journalisten. Nach dem Sieg im Achtelfinale über Montenegro will Vladimir Spivak von Maodo Lo wissen, was der deutsche Viertelfinal-Einzug über die deutsche Liga aussagt. „Eine Menge“, meint Lo und weist auf die Euro-League-Teams und die internationalen Ambitionen anderer Bundesligisten hin, die „alle einen guten Job“ machten. Lo sagt: „Ich glaube, die BBL wird in Europa nicht wirklich ernst genommen.“

Spivak sieht sich dadurch in seiner These bestätigt. Der Russe ist in seiner Heimat TV-Kommentator: Für das nationale Fernsehen hat er das olympische Basket-ball-Finale kommentiert, für den kleinen Sparten-Sender TV-Start bespricht er die BBL. Er sagt: „Ich liebe die BBL. Die Fans sind erstaunlich, aber auch der Wettkampf ist hoch.“ Neben Lo sind es vor allem Jo Thiemann, Niels Giffey, Andreas Obst, Nick Weil-Babb und WoBo, die von der BBL geprägt wurden und auch der EuroBasket ihren Stempel aufdrückten. In der Sporthalle Schöneberg riecht es nach ehrlicher Arbeit. Seit 1954 wird hier Sport getrieben. Heute hält der DBB in der Dreifachturn-halle eine Coaching Clinic ab. Das heißt: Rund 200 Trainer treffen sich, um ihre Lizenz zu verlängern. Niemand macht das gerne. Prominente Referenten sollen die Veranstaltung aufwerten. EuroLeague-Coach Giannis Sfairopoulos ist da, genauso wie Chris Fleming, der bei den Chicago Bulls als Assistenztrainer arbeitet.

Fleming hat die Nationalmannschaft selbst einmal gecoacht: 2015 und 2017 dirigierte er das DBB-Team bei einer Europameisterschaft. Damals wie heute mit dabei: Maodo Lo, Niels Giffey, Dennis Schröder und Jo Voigtmann. 2017 kamen Daniel Theis und JT dazu. „Im Kern ist die Mannschaft schon lange zusammen, sie haben schon einiges gemeinsam erlebt“, sagt Fleming. Zum Beispiel die WM 2019, die allen offenbarte, dass Talent allein nicht reicht. Oder 2021, als der Weg über Split nach Tokio zu Olympia führte – dieses Mal ohne Schröder. Da ist etwas zusammengewachsen – nicht erst in diesem Sommer.

Wenn Fleming über die EuroBasket nachdenkt, fallen ihm natürlich zuerst die großen Stars wie Nikola Jokic, Doncic und Giannis ein, die das Niveau in die Höhe getrieben hatten. Fleming fällt aber auch auf, dass sich „das Spiel immer mehr vom Small-Ball zum Skill-Ball entwickelt“. Heißt, dass auf den Trend, vermehrt kleinere Spieler einzusetzen, nun eine Entwicklung folgt, bei der die Größe zunehmend in den Hintergrund rückt, dafür aber das Skill-Level entscheidend ist. Als Skills bezeichnet man im Basket-ball den Werkzeugkasten, den ein Spieler vorweisen kann. Je mehr Skills bzw. Tools, umso besser kommt er in einem Spiel zurecht, das sich in Sekundenbruchteilen ändert. Auch darin mag eine Erklärung für den deutschen Erfolg liegen: Spieler wie Maodo Lo – also der mit dem Ball tanzt –, Andi Obst – der mit 25 Treffern beste Dreierschütze der EM –, Franz Wagner – der seine Gegner auf einem Bierdeckel ausspielt – und Johannes Voigtmann – der wohl beste Passgeber auf seiner Position in der EuroLeague – sind genau diese Skill-Player, die sich in kürzester Zeit an eine neue Aufgabe anpassen können. Raus aus der Sporthalle Schöneberg und zurück in die Stadt. Auf halbem Weg liegt das Teamhotel. Wo anfänglich 16 Mannschaften untergebracht waren, residieren jetzt nur noch vier: Polen, Frankreich, Spanien und Deutschland. Die Serben sind raus, die Griechen und die Slowenen auch. Der Weg vom Hotel bis zur Spielhalle ist in Berlin nur unwesentlich länger als in Köln – trotzdem dauert die Fahrt doppelt so lange. Berlin ist ein Moloch: Über 3,8 Millionen Menschen leben hier, die wenigsten haben von der EM etwas mitbekommen.

In Köln hatten die Senioren vor dem deutschen Teamhotel anfänglich ja auch keine Ahnung, doch die beflaggten Rheinbrücken und die grölenden Litauer auf dem Friesenplatz waren nicht zu übersehen. In Berlin musste man schon zufälligerweise an der Chausseestraße Ecke Wöhlertstraße vorbeikommen, um das Plakat eines Basketballers zu sehen. Provisorisch an einem Gerüst festgemacht, zeigte es einen Dunking von Ademola Okulaja. Der Warrior ist am 17. Mai 2022 verstorben. Damit das nicht in Vergessenheit gerät, haben Frank Dupuis und Okulajas Freundin Bintia das Banner aufgehängt.

Kurz bevor am 16. September, um 20.30 Uhr, in der nicht ganz ausverkauften Mercedes-Benz Arena das Halbfinale beginnt, spielt ein Straßenmusiker „Yellow“. Der Wind bläst die Töne des Coldplay-Klassikers über den unwirtlichen Vorplatz der Berliner Arena. Es ist kalt geworden, die Kölner Sommer-party liegt gefühlt Monate zurück. Ein Ticketverkäufer packt seine restlichen Karten zusammen – auch für 20 Euro das Stück wird er sie jetzt nicht mehr los. Im Inneren der Arena ist die Stimmung trotzdem hitzig – es geht gegen den Weltmeister, der schon 2005, beim letzten deutschen Medaillengewinn, im Halbfinale der Gegner war.

Am Ende sind es fünf Punkte oder vier, fünf schwache Minuten, die Deutschland vom Final-Einzug trennen. Zu undiszipliniert im letzten Viertel, zu müde, weil zu lange in derselben Rotation aus Schröder, Weiler-Babb, Obst, Wagner und Thiemann. Das sind die Punkte, für die Coach Herbert später die Verantwortung übernimmt. Am 16. Turniertag bzw. nach dem achten Spiel ist aber auch allen klar, dass diese Partie in beide Richtungen hätte gehen können, der Sieg der Spanier also nicht unverdient ist. Im Anschluss sind dann sowieso zwei andere Zahlen wichtig: Über vier Millionen Menschen sehen in der Spitze bei RTL zu und neun von neun Finals hat der spanische Verband in diesem Sommer mit all seinen Teams erreicht. Welche Zahl wichtiger sei, wird Gordon Herbert am Tag nach dem Halbfinal-Aus gefragt. „Beide“, sagt er salomonisch und kommentiert damit einen Unterschied, der nicht größer sein könnte: Während Basketball-Deutschland sich über plötzliche Aufmerksamkeit freut, ist der Basketball in Spanien längst so tief verankert, dass er ein gene-rationen- und geschlechterübergreifendes Phänomen geworden ist. „Widrigkeiten können dich auseinanderreißen oder zusammen-schweißen. Jetzt ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir nicht auseinanderfallen.“ Vor dem Spiel um Platz drei weiß Gordon Herbert genau, worauf es ankommt. Bevor es dann gegen Polen losgeht, beweist das deutsche Team, wie groß sein Zusammenhalt ist: Einer nach dem anderen umarmen sie Robin Benzing, der von seinem Platz in der ersten Reihe aufsteht und die Prozession stoisch über sich ergehen lässt.

Dabei ist es nicht ganz klar, wer hier mehr Größe zeigt: Das Team oder sein ehemaliger Kapitän, der seinen Stolz beiseiteschiebt und anfeuert, obwohl er nicht mitspielen darf? Der letzte Auftritt der deutschen Mannschaft bei dieser 41. Europameisterschaft komprimiert dann noch einmal all das, was sie in diesem Sommer durchlebte: spielerische Klasse, Rückschläge und ein Spiel, das sieben Minuten vor dem Ende auf Messers Schneide steht. Doch als es darauf ankommt, kann das Team sich auf sein Kapitäne verlassen – auf Dennis Schröder und Jo Voigtmann. Und darauf, dass es in diesem Sommer 2022 eine Resilienz entwickelt hat, die größer ist als alle Hindernisse. Als Schröder nach einem Dreier zum 76:66 mit Benzing abklatscht, ist die Bronze-medaille gewonnen.

Und Schröder, der das Team als Kapitän zur ersten deutschen Medaille seit 17 Jahren führte, beweist auch im Moment des Triumphs ein feines Gespür für die Situation: Erneut sucht er zuerst den Kontakt zu Benzing, seinem Vorgänger als Kapitän, und umarmt in minutenlang. Anschließend verspricht er ihm seine Medaille, falls sich für Benzing keine auftreiben ließe.

Als „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ längst verklungen ist, betreten Herbert und Schröder ein letztes Mal den Press Conference Room. Schröder trägt einen schwarzen Anglerhut von Prada. Um seine Hals baumelt die Medaille – die erste, die er in seiner Karriere gewonnen hat. Er erinnert an den Beginn der Reise, „als niemand an uns geglaubt hat“ und die Buch-macher einem deutschen Titelgewinn eine Wahrscheinlichkeit von 3,75 Prozent einräumten. Er blickt in die Zukunft, „in der bald Franz Wagner dieses Team übernehmen wird“. Und Schröder sagt einen Satz, bei dem er selbst schmunzeln muss: „Wir haben den Basketball ein bisschen sexyer gemacht.“

Man könnte auch sagen: Basket-ball-Deutschland hat wieder eine Nationalmannschaft, die ihre Fans begeistert. Typen, die sich selbst nicht zu wichtig nehmen, dafür aber alle dasselbe Ziel verfolgen: eine Medaille, bei jeder EM, WM oder Olympia. Und das ist mindestens so wertvoll wie das vierte Edelmetall, das der Verband nun sein Eigen nennen darf.

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